Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Von Landsertrommeln und Lärmorgien

Neue deutsche Härte: Eine Studie über neo-faschistische Industrial-Bands

Nach Martin Büssers Wie klingt die neue Mitte ist innerhalb weniger Monate bereits das zweite Buch auf den Markt gekommen, das sich mit „braunen Hemden unter schwarzen Kitteln" beschäftigt. Doch im Gegensatz zu Büsser interessieren sich die Verfasser von Ästhetische Mobilmachung weniger für unterschwellig rechte Tendenzen innerhalb der Industrialmusik, als für den bereits deutlich hervortretenden und sich organisierenden Faschismus gewisser Darkwave-, Neofolk- und Gothicbands wie Death in June, NON, Sol Invictus, Blood Axis und Der Blutharsch. Ganz im Sinne des Buchtitels fokussieren die Autoren die ästhetische Ausprägung dieser von ihnen als solche identifizierten neuen Rechten: das äußere Auftreten (Style) und den ästhetischen Hintergrund bestimmter Gruppen.

Nach einem informativen Abriß über die Industrialbewegung seit den Siebzigern und einem kulturtheoretischen Einblick in die Wurzeln rassischer Ästhetik widmen sich die Verfasser im Zentrum ihres Buches der Gruppe Death in June. Schon die Entstehung ihres Namens sei keineswegs einem von Death in June behaupteten „linken Motiv", dem Gedenken des Ermordungstages des SA-„Ketzers" Röhm, zu verdanken. Stattdessen huldige die Gruppe mit dieser Namensgebung einem nationalen Heroen, nämlich dem SA-Führer Röhm, dessen Differenzen mit seinen Genossen lediglich von persönlicher Konkurrenz und radikaleren Anschauungen herrührten, welche auch den legendären „Röhmputsch" im Juni 1934 begründeten.

Daß man häufig gar nicht so weit ausholen muß, um der Beweisführung der Autoren zu folgen, verdeutlicht ihr Hinweis auf eine Anzeige der Jungen Freiheit, die 1996 in der Februarausgabe des Darkwave-Magazins Zillo um neue Leser warb. Insbesondere die ästhetische Angleichung von Symbolismen und Begrifflichkeiten mache die schleichende Fusion von Darkwave und rechter Politisierung möglich: Noch bevor die Neo-Nationalsozialisten in bestimmte Subkulturen eindringen konnten, hätten letztere bereits ihren gesamten symbolischen und ideellen Kosmos mythologisch für diese Saat urbar gemacht: Unzweideutige Runensymbolik, folkloristisch biederes Lebensbild und platter Sozialdarwinismus sind einige dieser Elemente. Bei Gruppen wie Death in June, Der Blutharsch, Sol Invictus und Blood Axis habe sich diese nordgermanische Ästhetik zu einem perfekten Nazismus ausgebildet, dessen Industrial-Background nicht länger als mildernder Umstand für solche Blut- und Boden-Kulte gelten dürfe.

Im Gegenteil: Der Kosmos, den diese Gruppen aus Mythen, Symbolen, philosophischen Versatzstücken und Musik erschaffen, würde schon deshalb zur intelligenteren Form des Neofaschismus gehören, weil er trotz seiner häufigen Plattheiten ein komplettes kulturelles Identitätsmuster liefere, das nicht einfach bloß die grobschlächtigen Bedürfnisse rechter Straßenkämpfer befriedige.

Im vierten Kapitel des Buches wird das Gothic-Blatt Sigill unter die Lupe genommen: ein Sprachrohr der Dark-Folklore, das mit ausschließlich anti- und unmodernen Themen (meist simple Erdenkulte und männliche Kraftmythologien vergangener Zeiten) versucht, seinen Lesern eine verbindliche und unkomplizierte Identität zu stiften und darüberhinaus Kontakte zwischen politischen und mystischen Nazisten herzustellen, damit, so die Drahtzieher dieses Fusionsversuches, „zusammenwächst, was zusammengehört".

Rammstein, Witt und die „neue deutsche Härte", die in der Popkultur für die Prädestination nach rechts sorgt, bilden das Schlußkapitel der Ästhetischen Mobilmachung, deren Verfasser sich darin einig sind, daß der Nazismus in den von ihnen beschriebenen Kulturprojekten nicht länger eine bloß schockheischende Provokation ist, sondern ein mit musikalischen Mitteln kolportiertes weltanschauliches Programm, wie es die rechten Ideologen griffiger nicht verwirklichen könnten.

Wolfram Hasch

> Andreas Veit (Hg.): Ästhetische Mobilmachung. Unrast-Verlag, Münster 2002. 16 Euro

 
 
 
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