Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Nicht City, sondern Zentrum

Die Raumplanerin Marlies Schulz zur Umgestaltung der „Ost-City"

Alex
Foto: Amélie Losier

Seit über zehn Jahren wird über die sogenannte Ost-City – damit ist im Kern der Alexanderplatz gemeint – diskutiert. Mit den jüngsten Planungen für den Molkenmarkt sowie dem bevorstehenden Bau des „Sonae Einkaufszentrums" an der Jannowitzbrücke erhält die Debatte derzeit neue Nahrung. scheinschlag sprach mit Marlies Schulz, seit 1944 in Berlin, ab 1970 Wissenschaftlerin an der Humboldt-Universität, seit 1993 als Professorin für Raumplanung/ Angewandte Geografie.

Oft sprechen die Kritiker der verschiedenen Bauvorhaben ­ Hochhäuser am Alexanderplatz oder das Einkaufszentrum an der Jannowitzbrücke ­ von der Zerstörung des „Gesichtes Ostberlins" oder der „Ost-City": Ist das 15 Jahre nach dem Fall der Mauer wirklich noch ein Thema?

Ein ganz schwere Frage. Für Personen, die im Ostteil sozialisiert sind, ist zumindest der Alexanderplatz der zentrale Ort gewesen. Und damit hat jeder irgendwelche Verbindungen, auch positive. Für mich selbst war der Alexanderplatz weder in der DDR noch heute ein Platz der Identifikation des Ostens. Er war zentral und hatte damals für viele eine hohe Bedeutung. Teilweise gibt es die Assoziation Weltzeituhr = Treffpunkt. Wenn man Besuch hatte, traf man sich da. Das hat heute nachgelassen, weil es andere Orte gibt, die auch besser die Bedürfnisse befriedigen, die man heute an einen öffentlichen Raum stellt.

Gefällt Ihnen der Platz so, wie er jetzt ist?

Nein. Ich kann sagen, daß er mir auch nicht zu DDR-Zeiten gefallen hat. Für mich wartet der Platz eigentlich auf eine Umgestaltung. Ob diese Umgestaltung in Form von Hochhäusern die beste Variante ist, wage ich zu bezweifeln. Was da entstehen soll, ist für mich erst einmal eine Frage der Notwendigkeit ­ daß man eben nicht so viele Bürogebäude errichtet in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage der Stadt.

Die Kritiker des Alexanderplatzes verweisen auf die Zugigkeit und geringe Aufenthaltsfreundlichheit. Ist die Gestaltung durch die Ostberliner Planer geglückt?

Das muß man zeitlich differenzieren. Der Alexanderplatz ist ein Produkt der Stadtplanung der sechziger Jahre. Man kann etwas Äquivalentes auch in Westberlin finden. Wenn man nach den damaligen Kriterien und den Zielvorstellungen geht, ist der Platz geglückt. Aber die Sicht auf städtische Räume hat sich seitdem deutlich verändert. Heute stellt man andere Anforderungen an einen Platz. Man denkt an Kommunikation, an eine Funktionsmischung von verschiedenen Dingen wie Gastronomie, Einkaufen, Entertainment, Freizeitgestaltung. Diese Anforderungen kann der Platz derzeit nicht erfüllen.

Die alte Stadtstruktur im Zentrum Ostberlins ist in der DDR-Zeit komplett überbaut worden. Wurde das damals kritiklos hingenommen oder gab es Kritik und Proteste?

Als ich in den sechziger Jahren Studentin und als ich 1970 wieder an der Humboldt-Universität war, wurde in der Geografie sehr stark diskutiert, welche Funktion dieser gesamte Raum hat. Die Argumentation war: Das ist keine City. City ist etwas Kapitalistisches, wo es nur um die profitable Nutzung der Räume geht. Und deshalb bezeichnen wir diesen Raum nicht als City, sondern als Zentrum. In den Publikationen der damaligen Zeit bemerkt man auch ganz klar die konsequente Verwendung „Stadtzentrum von Ostberlin". In der kapitalistischen City gibt es keine Wohnfunktion ­ zumindest in den siebziger Jahren nicht mehr. Wir konnten uns dagegen an dieser Stelle solch eine Funktion leisten. Wohnen für jedermann, zu normalen Preisen.

Der Molkenmarkt soll „zurückgebaut" werden und wird dabei ebenfalls im Kontext der Kritik am Umbau der Ost-City genannt. Wie bewerten Sie die Planungen für dieses Areal?

Ein Aufenthaltsraum ist der Molkenmarkt nicht. Die vorhandenen Schneisen sind wirklich eine Katastrophe für die Stadt. Aus stadtgestalterischen Gründen würde ich einen Rückbau befürworten. Vorgesehen ist eine Blockrandbebauung mit Wohnfunktion. Da stellt sich die Frage: Wer wird da wohnen? Die Fläche ist ziemlich teuer, es wird also hochwertiges Wohnen sein. Oder die Stadt schiebt Geld dazu, das kann sich Berlin aber nicht leisten. Die Frage ist, ob es in dieser Dimension Eliten gibt, die da wohnen wollen. Das sieht in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation nicht so aus.

Leerstehende Büroflächen gibt es genug in der Stadt. Die Hochhausplanungen am Alexanderplatz zielen auf weitere Bürovermietungen. Wie stehen Sie dazu?

Wann baut man Hochhäuser? Wenn die Fläche nicht ausreicht und man demzufolge in die Höhe gehen muß. Oder weil man mit dem Gebäude seine Macht demonstrieren, sein Ansehen deutlich machen will.

Welche Macht?

Die Macht des Geldes.

Berlin möchte auch gerne Macht demonstrieren?

Da braucht man sich nur den Flächennutzungsplan von 1994 ansehen: Wie groß wird die Stadt, was brauchen wir für dieses Wachsen? Die Realität hat etwas anderes gezeigt. Heute sehe ich keine Situation, in der es notwendig wäre, Hochhäuser zu bauen. Für mich ist die realistische Variante für den Alexanderplatz, den Platz freundlicher zu gestalten. Da sind nicht unbedingt große bauliche Veränderungen nötig. Es gibt ja auch Projekte, Jugendliche in die Gestaltung des Platzes einzubeziehen, und hier ist auch die Kreativität der Bürger gefragt. Darauf sollte man bauen.

Als Alternativplan eine Light-Version?

Ja, ich kann mir auch im kleinen Rahmen eine bauliche Veränderung unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen vorstellen.

Der Potsdamer Platz wird offensichtlich von vielen angenommen. Bekommen wir mit den geplanten Bürohochhäusern am Alexanderplatz, dem „Sonae-Einkaufzentrum" und den Kinos ein zweites „Urban Entertainment Center" in Berlin?

Die Frage ist, ob sich drei Räume, West-City, Potsdamer Platz und Ost-City, mit gleichem Angebot tragen können. Aber eine andere Variante sieht man nicht: Einkaufen als Freizeitgestaltung. Das ist traurig, denke ich.

Ist die klassische europäische Stadt mit der Orientierung auf Funktionsmischung nicht gerade jetzt eine Alternative zu noch mehr Büros?

Das ist eher ein Traum. Die Qualitäten der europäischen Stadt: Wohnen, Einkaufen, Freizeit, Dienstleistungen, stellen im Hinblick auf die Mobilität und Freizeitinteressen keinen alltäglichen Raum mehr dar. Ein zentraler Raum wird dann angenommen, wenn entsprechende Events veranstaltet werden, so wie am Potsdamer Platz. Dann nutzt die Bevölkerung das offensichtlich auch.

Vielleicht kommt es erst in 20, 30 Jahren zu dem erhofften Wachstum in der Stadt. Dann hätten wir noch viel Zeit, uns auf verschiedene Varianten in der Ost-City einzustellen.

Das kommt darauf an, welche Bedeutung die Räume der Stadt in 30 Jahren haben werden.

In 30 Jahren ein neuer Zeitgeist mit ganz anderen Vorstellungen von der Gestaltung der Ost-City?

Ja, natürlich. In den sechziger Jahren war das die Idealvorstellung, heute gefällt uns das nicht mehr. Genauso läßt sich die Frage in 30 Jahren neu stellen.

Interview: Dirk Hagen

 
 
 
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