Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Berlin 1904

29. Januar bis 25. Februar

Der Schriftsteller Karl Emil Franzos wird am letzten Januartag in Weißensee auf dem Friedhof der jüdischen Gemeinde beigesetzt, die ihm ein Ehrenbegängnis bereitet. Sie hat dazu die Halle für die Trauerfeier mit Blumen und Palmen geschmückt. Viele Besucher können dem Akt nicht beiwohnen, weil sich die Halle für die große Trauergemeinde als zu klein erweist. Besonders zahlreich ist das literarische und künstlerische Berlin vertreten. Chorgesang leitet die Feier ein, dann spricht Rabbiner Dr. Rosenzweig, der in seiner Gedenkrede den Entschlafenen als den Mann preist, in dem Deutschtum und Judentum zu edelster Blüte vereint gewesen seien. Hierauf ergreift Professor Geiger das Wort, um als einer der ältesten Freunde des Dahingeschiedenen ein Bild von dem Menschen, dem Dichter und Schriftsteller Karl Emil Franzos zu zeichnen. Im Anschluß erfolgt die Beisetzung in der Gräberreihe des Friedhofs, die die Gemeinde für besonders verdiente Männer bestimmt hat.

Der Schimpanse „Konsul" debütiert am 1. Februar im Zirkus Schumann. Mittags gibt er im Monopol-Hotel vor geladenem Publikum eine Gastrolle. Er ist an der Goldküste in Afrika geboren und kam vor drei Monaten mit seinem Mentor Dr. McKentie nach Europa und befindet sich zur Zeit auf einer Gastspielreise durch die zivilisierten Länder. Äußerlich gleicht er einem greisen Lebemann, der in Pelzjackett und Zylinder Unter den Linden spaziert. Seine Bewegungen sind würdig und gemessen, unter dem glatt gescheitelten Haupthaar sitzen ein paar listige Äuglein, der Kopf ist stets weit zurückgelehnt. Beim Essen ist er zurückhaltend, andererseits wird er ungemütlich, wenn man nicht von ihm Notiz nimmt. Unsympathischen Persönlichkeiten gibt er eine Backpfeife.

Die nächste Feldpost nach Deutsch-Südwestafrika geht am Sonnabend, dem 6. Februar, 2 Uhr nachmittags von Hamburg mit dem Dampfer der Woermannlinie „Lucie Woermann" ab und trifft am 28. des Monats in Swakopmund ein. Wertpostsendungen sind demnach so zeitig einer beliebigen Postanstalt zu übergeben, daß sie wenigstens Freitag abend dem Marine-Postbureau in Berlin vorliegen können. Sie müssen die Bezeichnung der Feldpost und die genaue Angabe des Empfängers nach Truppenteil und Zugehörigkeit zum Marine-Expeditionskorps oder zu den Feldkompagnien tragen. Eine weitere Verbindung nach Deutsch-Südwestafrika geht am 13. Februar von Southhampton, die Schlußzeit ist zwei Tage vorher. Der englische Dampfer geht nach Kapstadt, wo er die deutsche Post der Ostafrikalinie übergibt. Sie trifft etwa am 9. März in Swakopmund ein.

Bei dem früheren Dienstmädchen Hulda Hinz, das einen sittenlosen Lebenswandel führt und wegen mehrfacher Ladendiebstähle bereits mit der Polizei in Konflikt geraten ist, wird von einem Polizeibeamten eine wertvolle goldenen Uhr bemerkt, über deren Erwerb sie sich nicht ausweisen kann. Sie behauptet, das Wertstück gekauft zu haben und wird daher von einem Kriminalbeamten zu mehreren Juwelieren geführt, doch erweisen sich ihre Angaben als unwahr. Da sie auch eine falsche Wohnung angibt, soll sie nach der Polizeidirektion Schöneberg zurückgeführt werden. Nun wirft sich aber das Mädchen laut schreiend zu Boden, so daß sich bald eine große Menschenmenge ansammelt. Diesen Umstand benutzt die Hinz, um schnell ein Portemonnaie und mehrere Gegenstände von sich zu werfen. Da der Beamte das Mädchen halten muß, sind die Sachen verschwunden, als ein zweiter Schutzmann dazukommt. Die Hinz wird zur Polizeidirektion gebracht und soll nach ihrer Vernehmung im grünen Wagen in das Moabiter Untersuchungsgefängnis geschafft werden.

Sie verlangt aber plötzlich, in das Klosett geführt zu werden, und dort gelingt es ihr, aus dem unvergitterten Fenster auf den Hof zu springen. Als die Beamten ihr nacheilen ist sie verschwunden. Man findet sie aber im Keller, wo sie sich in einer Kiste versteckt hat. Als sie nun wieder in die Zelle gebracht werden soll, kann sie nicht gehen. Ein Arzt stellt fest, daß sie sich bei dem Sprung den linken Fuß im Knöchelgelenk gebrochen hat. Daher wird sie nicht nach Moabit, sondern ins Krankenhaus gebracht.

Falko Hennig

 
 
 
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