Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

ALDI von Unten

Sozialläden ­ ein Konzept mit Zukunft?

Vielen werden die sechs Sozialläden, die der Sozialverein Friedrichshain e.V. seit Ende der neunziger Jahre in verschiedenen Innenstadtbezirken betreibt, noch gänzlich unbekannt sein. Das Konzept der Läden sieht vor, Bedürftigen ein Angebot von vielen Waren des täglichen Bedarfs zu Preisen anzubieten, die deutlich unter jenen der herkömmlichen Lebensmitteldiscounter liegen.

Als Bedürftige gelten Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, Schwerbeschädigte, Rentner über 75 Jahre und alle, die von der Zahlung der GEZ-Gebühren befreit sind. Interessenten müssen mit den entsprechenden Nachweisen in die Läden gehen und erhalten dann eine personalisierte Kundenkarte, die zum Einkauf berechtigt. Diese relativ starke Reglementierung beruht auf dem Argwohn des Lebensmitteleinzelhandels, der die Sozialläden anfangs als staatlich subventionierte Konkurrenten im kannibalistischen Preiskrieg betrachtete.

Die Grundlage für den Betrieb der Läden bilden gespendete und zu Sonderkonditionen verkaufte Waren, die von über 165 Herstellern und Großhändlern bezogen werden. Diese haben hierdurch die Möglichkeit, Lebensmittel kurz vor Ablauf des Haltbarkeitsdatums oder allzu großzügig eingekaufte Mengen komplikationslos loszuwerden ­ und damit noch einem guten Zweck zu dienen. Da die Lebensmittel oft innerhalb kürzester Zeit abgeholt werden müssen, ist einiges an Logistik nötig, damit das Sortiment regelmäßig aufgefrischt werden kann. Ebenfalls sehr wichtig sind durch Fördergelder abgedeckte Sachkosten sowie Beschäftigungsmaßnahmen, welche die Personalkosten für den Trägerverein niedrig halten.

Im Ergebnis ist eine Art besonders günstiger Tante-Emma-Laden entstanden, in dem alte Leute, Migranten und Punks gemeinsam einkaufen und wo neben der Kasse ein Kaffeetischchen steht, an dem man sich für ein Schwätzchen niederlassen kann. Damit erinnern die Sozialläden an Zeiten, als Geschäfte nicht nur dem Konsum, sondern auch der nachbarschaftlichen Kommunika-tion dienten.

Die Zukunft der Sozialläden, die sich an einem französischen Vorbild orientieren, dürfte sich nach Einschätzung der Geschäftsführerin des Sozialvereins Friedrichhain, Karla Ritter, ambivalent gestalten. Die Resonanz der Läden ist beachtlich, über 12500 Kunden sind derzeit registriert ­ und angesichts der zunehmenden Armut in der Stadt dürfte die Nachfrage zukünftig wohl noch steigen. Dies führt dazu, daß sich ein Laden schon ohne jegliche Form von Subventionierung selbst trägt und die anderen das gleiche Ziel anpeilen.

Sozialladen

Foto: Jörg Gruneberg

Andererseits werden die im Zuge der Hartz-Reformen durchgesetzten Verschlechterungen im Bereich des „Zweiten Arbeitsmarktes" wohl für erhebliche Probleme sorgen: Lohnkostenzuschüsse werden auf bescheidene Pauschalen zurückgefahren und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nur noch für sechs Monate bewilligt. Eine längerfristige Planung ist aber auch aufgrund der dramatischen Finanzlage in Land und Bezirk kaum noch möglich.

Hier teilt der Sozialverein Friedrichshain das Los aller Träger, die von öffentlichen Zuwendungen abhängig sind. Sozialpolitisch kann die Einrichtung einer parallelen Versorgungsstruktur für Bedürftige durchaus kontrovers diskutiert werden. Ohne Zweifel bieten die Sozialläden Menschen mit geringem Einkommen die Möglichkeit, eine Grundversorgung an Lebensmitteln sehr billig zu erhalten und damit Geld für andere Dinge zur Verfügung zu haben. In diesen Tagen allerdings, wo Politiker aller Couleur händeringend nach neuen Sanktionen für angeblich „Arbeitsunwillige" suchen, erscheint es durchaus denkbar, daß eine Kürzung von Sozialleistungen mit dem süffisanten Zusatz versehen wird, daß das Geld ja immer noch für einen dicken Einkauf im Sozialladen reiche.

Wie auch in anderen Bereichen gilt: Die Schaffung alternativer Strukturen darf nicht dazu führen, daß der Staat aus seiner politischen und sozialen Verantwortung entlassen wird. Kleiderkammern oder Sozialläden sollten unterstützt werden ­ aber die zentrale politische Forderung muß weiterhin lauten, daß jeder Mensch die finanziellen Mittel erhalten soll, die ihm eine würdevolle Existenz und eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erlauben.

Thorsten Friedrich

> Sozialläden befinden sich in der Gartenstr. 112 (Mitte), am Mehringplatz 9 (Kreuzberg), Boxhagener Str. 116 und Dolziger Straße 47 (Friedrichshain), Normannenstraße 39 (Lichtenberg) und in der Edisonstraße 18 (Köpenick)

 
 
 
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