Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Angriff der Zuckerbäcker

Seit kurzem sind kulturbeflissene Berlin-Touristen auf der Suche nach baulichen Sehenswürdigkeiten nicht mehr allein auf Dumont und Dehio angewiesen. Der Stadtführer DDR-Baudenkmale in Berlin bietet einen neuen Blick auf die Stadt; der Schwerpunkt liegt auf den Sechzigern und Siebzigern. Nachdem die wenigen Bauten der klassischen, „heroischen" Moderne der Vorkriegszeit gerettet und musealisiert sind, wendet sich die Kunstgeschichte der Nachkriegsmoderne zu – „jenseits von Ostalgie-Parties und DDR-Shows", wie die Pressemitteilung lockt.

Das Interesse kommt fast zu spät. Etliche der Gebäude ­ der Palast der Republik und das Lindenhotel sind nur die prominenten Beispiele ­ werden die nächsten Jahre wohl nicht überleben. Andere, wie das Café Moskau, verfallen allmählich, wieder andere sind bereits zerstört: Stadion der Weltjugend, DDR-Außenministerium, Lindencorso, einige Pankower Botschaftsgebäude, das Ahornblatt ... Von den oft brutalen Umbauten und den modischen Designereien, denen nach und nach nahezu alle DDR-Bauten unterzogen werden, ganz zu schweigen.

Ganz anders die neoklassizistischen Protzbauten des Stalinismus. Sie sind ebenfalls sanierungsbedürftig und historisch weit stärker belastet als die bescheidenen spätsozialistischen Wohnwaben und Freßwürfel, aber die meisten werden liebevoll hergerichtet. Und auch die wenigen Beispiele originär postmodernen Bauens, wie die Altstadt-Imititate des Nikolaiviertels, bleiben erhalten.

Viele vermuten darum hinter der Abrißwut nicht einen Angriff auf die DDR, sondern auf die Moderne allgemein ­ oder vielmehr auf alles, was weder topaktuell noch „historisch" daherkommt. So nennt die Netzseite „Gefährdete Bauten", mit der das BauNetz seine Leser aufzurütteln versucht, auch Beispiele aus den Achtzigern sowie solche aus dem Westen: das ICC etwa, dem als Westberliner Äquivalent des Palastes der Republik nun ein ähnliches Schicksal droht, das Hochhaus des Instituts für Bergbau- und Hüttenwesen am Ernst-Reuter-Platz oder das denkmalgeschützte Schimmelpfeng- Haus an der Stelle des künftigen „Zoofensters" am Breitscheidplatz. Letzterer soll komplett umgebaut werden, ebenso der gesamte Alexanderplatz, die Leipziger Straße und selbstredend alle Plattenbauviertel, die man systematisch zu Reihenhaussiedlungen umzumodeln beginnt.

Das Phänomen ist nicht auf Berlin beschränkt. In Lübeck z.B. wurde unlängst die sensible Fünfziger-Jahre-Bebauung an der gotischen Marienkirche einem aufdringlich glitzernden Kaufhaus geopfert. Die agressive Zuckerbäckerei brachte der Stadt, die sich als „Weltkulturerbe" rühmt, eine Rüge durch die UNESCO ein. Und der Architekt der Bremer Stadthalle scheiterte gerade bei dem Versuch, sein Werk gerichtlich schützen zu lassen: Zur Vergrößerung der Aufnahmekapazität wird die charakteristische Tragseilkonstruktion des Hallendaches zerstört. Die mächtigen Betonscheiben der Vorderfront, die jetzt die Tragseile halten, werden funktionslos und sollen einer banalen Kiste als Fassadenschmuck dienen. Das ist, als hätte man vom Ahornblatt nur die spitzwinkligen Fenster stehengelassen und das Velodrom dahintergebaut.

Derart tragikomische Fälle sind nicht nur banausenhaften Bauherren geschuldet. Auch die Fachwelt verteidigt die Entwurfsprinzipien der Moderne nur halbherzig, die Kunstgeschichte beschreibt sie wie historische Kuriositäten, den meisten Nutzern sind sie völlig fremd. Auch ein Jahrhundert nach Einführung des Betons gilt dieser ideale Baustoff als abweisend und grobschlächtig. Glas und Stahl sind zu Synonymen für Kälte geworden. Die ausgeklügelten Wohnmaschinen des Rationalismus sind als Legebatterien und Schuhkartons verschrien, die eleganten Wolkenkratzer als arrogant und unterkühlt. Außerhalb der Fachpresse weiß niemand so recht, warum eine „ehrliche", funktionale, echt moderne Konstruktion von Gestern besser sein soll als ein kitschiges Imitat von Vorgestern oder sonst ein manierierter Fassadenklamauk.

Die Moderne, ein Stil, der das Ende aller Stile sein wollte, ist selbst am Ende. Ihre wesentlichen Grundätze: Wirtschaftlichkeit, Angemessenheit, Ehrlichkeit, werden in diesem verarmenden Gemeinwesen dringender benötigt als der dekadente Prunk der Regierungsviertel, Potsdamer Plätze und Stadtschlösser. Und dennoch wird die Moderne mißverstanden, entstellt und zerstört, mit der gleichen Brutalität und Gründlichkeit, mit der sie ihre Vorgänger beseitigte. Ausgerechnet diese Dummheit ist es, die von ihr bleibt.

Johannes Touché

 
 
 
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