Ausgabe 10 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Im Schlafwagen in die Anthologien

Junge Lyrik, ganz schön alt

Wenn es im Titel eines Gedichtbandes wenigstens irgendwie um Liebe gehe, so meinte der Kritiker und Lyriker Harald Hartung einmal, stünden die Chancen um einiges besser, das Produkt an den Mann zu bringen. Das werden sich auch Stephan Gürtler und Rainer Stolz, die Herausgeber der Anthologie Feuer, bitte! gedacht haben, die „Berliner Gedichte über die Liebe" versammelt. Die 18 Autoren wurden zwischen 1966 und 1978 geboren, leben großteils in Berlin und haben sich in einem Zirkel mit dem seltsamen Namen „Die Freuden des jungen Konverters" zusammengeschlossen. Ein Konverter, so belehrt uns ein Wörterbuch von 1984, ist ein „kippbarer, feuerfest ausgekleideter Behälter, in dem durch Durchblasen von Luft flüssiges Eisen von unerwünschten Beimengungen gereinigt wird", aber auch ein „Gerät, das älteren Fernsehgeräten vorgeschaltet wird". Das scheint die Sache schon eher zu treffen, bedienen sich die in Rede stehenden Autoren doch fast ausschließlich althergebrachter, längst zum lyrischen Klischee herabgesunkener Formen.

Kennzeichnend für diese mehr oder weniger junge Generation, die jetzt auf den so ja gar nicht vorhandenen Lyrik-Markt drängt, ist ein ausgeprägter Sinn für erfolgreiches Networking: Man unterhält Literaturzeitschriften, in denen man sich gegenseitig druckt, hievt sich in Anthologien oder ins Netz, organisiert Gruppenlesungen und Parties. In merkwürdigem Gegensatz zu diesem gekonnten Marketing freilich steht die ästhetische Mutlosigkeit und Vorgestrigkeit der Produkte, die da lanciert werden sollen. Man weiß wohl, daß man auf die Podien und in die Anthologien will; was man literarisch so genau will, weiß man aber anscheinend nicht. Diese Lyriker sind keine Revoluzzer, die herrschende Paradigmen in Frage stellen, sie stehen vielmehr für einen konservativen Roll-back, den die Abteilung Roman und Erzählung schon vor einigen Jahren erlebte – Stichwort Lesebühnen, Pop und Judith Hermann.

„in jeder gefrorenen pfütze sahen wir ihn, / den gespiegelten sommer, hand in hand / durch weißgetünchte felder (...)" So beginnt etwa ein „schnee" überschriebenes Gedicht, in dem dann auch noch Krähen über die „tafel des himmels" kratzen und Rehe aus dem „vorhang" des Waldes treten. Wie alt würden wir den Autor schätzen, der so ungebrochen als lyrisches Ich sich inszeniert, ausgiebig mit Genetivmetaphern und all dem lyrischen Gerümpel der fünfziger Jahre hantiert? Auf 80? In Wahrheit handelt es sich um den 1971 geborenen Jan Wagner, der mit seinen Betulichkeiten der Erfolgreichste aus dem Zirkel ist.

Im Vergleich zu den meisten anderen muß man Wagner allerdings hohes Formbewußtsein zugestehen. Sie klatschen meist einfach Aussagesätze aneinander, die Syntax mehr oder weniger verknappt, brechen irgendwo die Zeilen, in Kleinschreibung oder auch nicht. Das klingt dann etwa so: „dann fuhren wir ans meer, / zur steilen küste, die steifen / winde verhakten sich / in endlosen mäandern" (Nikola Richter) Oder: „Die Stadt erwacht, wir ficken / setzen uns zusammen frühstücken (...)" (Rainer Stolz) Dem häufig holprigen Parlando werden ausgesuchte, nicht selten schiefe, „lyrische" Bilder aufgeklebt, das Bemühen um Symbolismen und Tiefsinn gebiert Stilblüten wie „Nebelglockengestöhn" (Florian Voß). „In unserer U-Bahn / nimmst du den Schlafwagen", lesen wir bei Stolz, der uns auch mit dem mißglückten Bild „Innere Uhren / ziehen uns auf" nicht verschont; Uhren werden bekanntlich ­ passiv ­ aufgezogen. Schlimmer geht aber immer noch: „noch trägt der morgen graue streifen / wie strähnen aus meinem haar" (Roland Distl). Zeitgenössisch sind diese Gedichte höchstens in ihrem Vokabular, und selbst Crauss, den wir als gewitzten Kompilator kennen, ist hier nur mit in Zeilen gebrochenen Geschichtchen vertreten.

War da nicht noch etwas? Gab es nicht einmal eine Moderne jenseits der Naturlyrik von Karl Krolow und des Anti-Formalismus eines Brinkmann? Die-se Gedichte jedenfalls wissen davon nichts. Und die Liebe? Man hat Sex, schlägt sich mit Beziehungen herum oder Affairen, das Erwartbare. Daß man nichts zu erzählen hat, wäre aber gar nicht so schlimm, wenn man sich ernsthaft die Frage vorlegen würde, was lyrisches Sprechen heute sein könnte, oder: warum man überhaupt Gedichte schreibt.

Florian Neuner

Rainer Stolz und Stephan Gürtler (Hg.): Feuer, bitte! Berliner Gedichte über die Liebe. Dahlemer Verlagsanstalt, Berlin 2003. 12 Euro

 
 
 
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