Ausgabe 10 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Kurzkultur

offensive

Einen großen Unbekannten der ungarischen Kunst stellt das Collegium Hungaricum vor. Béla Veszelszky (1905-1977) war ein Einzelgänger, hatte zu Lebzeiten nur eine einzige Ausstellung in einer Privatwohnung. Das hinderte ihn nicht daran, an seiner von der gnostischen Philosophie inspirierten Vision festzuhalten, was er erst im letzten Lebensjahrzehnt mit Hilfe einer staatlichen Rente tun konnte. Seine Bilder, die Dieter Honisch als „auf eigentümliche Weise ortlos, gegenständlich und abstrakt zugleich" beschreibt, haben keine Nachahmer gefunden und so recht auch keine Vorläufer. Nach einer Ausstellung in der Budapester Kunsthalle 1997, mit der Veszelszky in Ungarn durchgesetzt werden konnte, soll die Berliner Ausstellung nun endlich die Rezeption im Ausland anstoßen.

> „Béla Veszelszky. Die Erweiterung der Welt zur Transzendenz", noch bis zum 30. Januar im Collegium Hungaricum, Karl-Liebknecht-Str. 9, Mitte, www.hungaricum.de

quivive

Juliettes Literatursalon in der Gormannstraße gibt es leider nicht mehr. Die Buchhandlung von Hartmut Fischer, die einen kulturwissenschaftlichen Schwerpunkt verfolgte, mußte im Frühjahr Insolvenz anmelden ­ obwohl im Kiez angeblich so viele Künstler und Intellektuelle leben, aber die haben halt kein Geld. Zumindest der Lese-Marathon aus De Sades Justine und Juliette, der dort im vierzehntägigen Rhythmus stattfand, kann jetzt an anderem Ort fortgesetzt werden: Am 3. Dezember fand im Club der polnischen Versager die 106. Ausgabe statt, die nächsten folgen am 17. und am 31. Dezember.

> „Justine und Juliette", am 17. Dezember um 21 und am 31. Dezember um 17 Uhr im Club der polnischen Versager, Torstr. 66, Mitte, www.juliettes.de

naive

Der Schweizer Kanton Aargau liegt abseits der Touristenpfade und hat eigentlich keine Attraktionen mit überregionaler Ausstrahlung zu bieten. Wer nicht Hermann Burger gelesen hat, dem dürfte zum Aargau nicht viel einfallen. Eine bemerkenswerte Kompilation vereinigt nun privates Filmmaterial, das im 20. Jahrhundert im Aargau entstanden ist: bäuerliche Arbeit, Eisprinzessinnen auf dem Hallwilersee, Stuntmen. In denkbar großem Gegensatz dazu steht ein Film, der ­ ebenfalls anhand von privatem Filmmaterial ­ DDR-Alltagskultur am Beispiel Golpa-Zschornewitz zu ergründen sucht.

> „Aargau – Golpa-Zschornewitz. Alltag auf Super 8" am 12. (20 Uhr) und 14. Dezember (22 Uhr) im Filmkunsthaus Babylon (Studiokino), Rosa-Luxemburg-Str. 30, Mitte

perspektive

Die Literaturzeitschrift perspektive agiert vom österreichischen Graz aus, unterhält aber bereits seit zehn Jahren auch einen Redaktionssitz in Berlin und arbeitet eng mit Berliner Autoren zusammen. Das Interesse von perspektive gilt dabei post-experimentellen Schreibweisen jenseits von marktgängigem „neuen Erzählen", aber auch jenseits des akademisch gezähmten Experiments. Das Herausgeberteam, dem neben Ralf B. Korte (Berlin), Helmut Schranz (Graz) und Robert Steinle (Wien/Budapest) jetzt auch scheinschlag-Redakteur Florian Neuner angehört, stellt im Kulturhaus Mitte das neue Heft, die Doppelnummer 45/46 vor.

> „perspektive: attitudes\etüden", Lesung und Diskussion am 10. Dezember um 20 Uhr im Kulturhaus Mitte, Auguststr. 21, www.perspektive.at

inklusive

Eigentlich ist das fast schon inflationär: eine Band, zwei Songwriter und dazu noch einen DJ an einem Abend in einem Klub auftreten zu lassen. Aber nehmen wir es einfach mal als Nikolausgeschenk. Die Hamburger Band Mountaineer verbindet clevere Electronika mit Country-Landschaften und erzeugt so eine unaufgeregte Wärme, die es mit jedem Kachelofen aufnehmen kann. Die beiden Berliner Sascha Steinfurt und Jens Friebe bewegen sich zwischen Folk und Pop. In Sachen Wärmeentwicklung und Smartness stehen sie den Hamburgern in nichts nach. Abgerundet durch der Abend durch stilbetontes Auflegen von DJ Thriller.

> Mountaineer am 6. Dezember um 21 Uhr im KINGKONGKLUB, Brunnenstr. 173, Mitte. Eintritt 7 Euro

retrospektive

Ging es in der ersten Spielzeug-Ausstellung der DDR noch programmatisch um die pädagogischen Aufgaben ostdeutscher Spielzeugproduktion, so kann die aktuelle Ausstellung nur noch – auf der Suche nach einer verlorenen Zeit – Rückblick auf verschwundene Dinge sein. Das beginnt mit den phantasiefreudigen Holzspielzeugen, Baukästen und -fahrzeugen der jüngeren Nachkriegszeit, gefertigt von Klein- und Kleinstbetrieben, geht über die starke Konzentration der Betriebe und die Massenfertigung ab Ende der fünfziger Jahre, die Rückbesinnung auf den pädagogischen Wert und das Bemühen um höhere Standards ab den Siebzigern bis hin zum fast völligen Verschwinden der ostdeutschen Spielzeugproduktion und dem Überlebenskampf weniger Kleinhersteller nach 1990. Man begegnet neben den lieben alten Bekannten wie Bummi, Alfons Zitterbacke, dem Baukastensystem VERO construc etc. auch Prototypen, und Curiosa, die nie bis zur Produktion gelangten.

> „Spielzeug in der DDR" mit Sonderschau „POP-UP. Die dreidimensionalen Bücher des Vojtech Kubasta" in der Sammlung industrielle Gestaltung, Knaackstr. 97 (Kulturbrauerei), Prenzlauer Berg, noch bis zum 28. März,
Mi-So 13-20 Uhr

initiative

Ensemble UnitedBerlin ist der wenig ansprechende Name einer Gruppe, die sich vor zehn Jahren zusammengefunden und auf Neue Musik spezialisiert hat. Man ist basisdemokratisch organisiert und arbeitet eng mit Komponisten zusammen. Im Januar steht neben Werken u.a. von Friedrich Goldmann und Sebastian Stier die Introduzione all'oscuro von Salvatore Sciarrino auf dem Programm. Der Sizilianer erbringt immer wieder den Beweis, daß Musik auf der Höhe der Zeit und einfach schön sein kann. Aber das schaffen bei Neuer Musik auch nur Italiener.

> Das Ensemble UnitedBerlin unter Andrea Pestalozza, am 7. Januar um 20 Uhr im Kleinen Saal des Konzerthauses am Gendarmenmarkt, Mitte

alternative

Wohin an Weihnachten? Wer nicht zu den Eltern reisen mag, dem stellt sich diese Frage zwangsläufig. Zumindest für den späteren Abend bietet die Volksbühne eine Alternative an. Die Verbrecherversammlung richtet dort, auf der großen Bühne, ihr „Lametta Spezial" aus, eine „Große Twelvetwentyfour-Revue" u.a. mit Dietrich Kuhlbrodt, Wolfgang Müller und Jim Avignon. Es soll dabei um Dinge wie Elfen und Briefmarkenmenschen gehen.

> „Verbrecherversammlung – Lametta Spezial" am 24. Dezember um 22.30 Uhr in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte

 
 
 
Ausgabe 10 - 2003 © scheinschlag 2003/04