Ausgabe 10 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Leserbrief zur Beilage der Direkten Aktion im scheinschlag 8/03

Ja, was waren das für Zeiten, als der anarchistische Straßenkampf seinen Namen noch verdiente ... Heute wird der/ die geneigte Leser/in per Zeitungsbeilage vor die Frage gestellt: „Was ist eigentlich ein prekarisierter Stahlarbeiter oder eine ebensolche Sozialhilfeempfängerin?" Heute wird auch nicht mehr „geredet", nein, der heutige Arbeiter muß sich evolutionsrevolutionieren und „kommunizieren". Es lebe das „Neue". Was das jedoch mit einer „Direkten Aktion", wie sich die Beilage vollmundig nennt, gemein hat, bleibt wohl das Geheimnis der Anarchos. So, wie es wohl auch ihr Geheimnis bleibt, warum die, die den Staat total ablehnen, vom selben „Schweinesystem" dann aber doch die Kohle haben wollen.

Wir haben durchaus Verständnis, daß nur bei wenigen Begeisterung dafür besteht ­ bei dem sich ankündigenden Sauwetter ­ Straßenkampfblätter auf der Straße, vor Kaufhallen oder Unis zu verteilen, wie es früher üblich war. Der scheinschlag muß sich jedoch die Frage stellen, ob er auch zukünftig als kritischer kommunikativer Politikbegleiter ernstgenommen werden oder völlig unabhängig zum Sprachrohr radikalanarchistischer Kreise werden will. Letzteres ist durchaus ein großer Politikanspruch, führt jedoch in die Sackgasse oder, wie es heute anglodeutsch heißt, auf die „Dead End Road". Die Aussicht am Ende der Road mag vielleicht toll sein, sie hat nur ein Problem: Man/frau muß sie allein genießen.

Den scheinschlag haben wir bisher als kommunikativen Partner begriffen, der kritisch die Politik, insbesondere auch im Bezirk Mitte begleitet. Das man/ frau dabei nicht immer der gleichen Meinung ist, liegt in der Sache der Dinge. Einige Darstellungen in der letzten Zeit legen den Verdacht nahe, daß Ihr vieles daransetzt, zukünftig nicht mehr als kritischer kommunikativer Politikbegleiter erscheinen zu wollen.

Was dann alles aber wirklich unangenehm macht (und darüber sind wir dann wirklich sauer): Der scheinschlag hat eine monatliche Sanierungsbeilage, die Ihr damit massiv behindert. Die Sanierungsbeilage stadt.plan.mitte dient den Bewohner/innen der Sanierungs- und Quartiersmanagementgebiete von Mitte zur Information über die Planung in ihren Kiezen. Sie wurde von uns seit Jahren gegen vielfältige politische Anfeindungen geschützt, da sie die Bewohner/innen in die Lage versetzt, sich über Planungen zu informieren und mitzudiskutieren. Diese vom Bezirksamt Mitte finanzierte Beilage muß aber auch die Möglichkeit haben, gelesen zu werden. Dies wird nun in Eurer letzten Ausgabe für den/die geneigte/n Leser/in doch zu einem nicht einfachen Unterfangen. Die wahrscheinlich höchstens zwei Prozent, die nicht bereits angesichts der martialischen Aufmachung der Anarcho-Beilage verschreckt oder abgestoßen waren, mußten sich erst durch die Anarchobeilage „durchgraben", um an die Sanierungsbeilage zu kommen. Damit konterkariert und verhindert Ihr das, was von Euch in vielen Artikeln zurecht gefordert wird: die Möglichkeit von Bürgerinformation und -beteiligung. Wenn Ihr jetzt einwenden solltet: „Das haben wir nicht gewollt", soviel zur Erwiderung: Blauäugigkeit steht Robert Redford gut, nicht aber dem scheinschlag.

Es geht hier nicht um die Frage: „Wer darf was schreiben?". Es geht darum, ob der scheinschlag sich als allgemein kritischer (und Kritik muß dabei an allem Kritikwürdigen erlaubt sein) Journalismus versteht oder zukünftig als Anarchoklientelblatt in die Annalen eingehen will. Solltet Ihr Euch als Interessensvertreter letzterer verstehen, dann viel Spaß auf der Lonely-Dead-End-Road, und schreibt uns mal.

Frauke Stiller / Frank Bertermann

Liebe Leser,

die Ausgabe der Direkten Aktion (DA), die dem scheinschlag 8/03 beigelegt war, hat für Aufruhr gesorgt. Die scheinschlag-Redaktion möchte dazu Stellung nehmen:

Erstens: Wenn die Leser von stadt. plan.mitte Schwierigkeiten hatten, ihre Zeitung zu finden, bedauern wir das sehr.

Zweitens: Die Beilage war eine Beilage. Was in einer Beilage steht, spiegelt nicht die Meinung der Redaktion wider, sondern die des Anzeigenkunden. Daß es hier zu Mißverständnissen gekommen ist, ist auch für uns sehr ärgerlich.

Drittens: Den Vorwurf, der scheinschlag sei „Interessensverteter" oder „Sprachrohr" für wen auch immer, weisen wir zurück. Der scheinschlag ist unabhängig und nur seinem Auftrag verpflichtet: der freien Diskussion der Stadtentwicklung Berlins, seiner Politik und Kultur.

 
 
 
Ausgabe 10 - 2003 © scheinschlag 2003/04