Ausgabe 09 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Was hilft es ihnen, wenn ihr Toter in der Türkei liegt?

Muslimische Bestattung in Berlin im Wandel

Angesichts des Dschungels aus deutschen und islamischen Regelungen ist es nicht einfach, einen verstorbenen Muslim unter die Erde zu bringen. Volkan Coçkun kann davon ein Lied singen. Seit zehn Jahren ist er Leiter der islamischen Abteilung des deutschen Bestattungsinstituts Grieneisen. Die Abteilung wurde auf seine Initiative gegründet: „Als ich noch als Dolmetscher arbeitete, hatte ich einen Fall, da war einem Familienvater die Ehefrau weggestorben. Ihm hatte ein Bestattungsinstitut 10000 DM abgeknöpft. Noch heute kriegen Sie das hier bei uns für die Hälfte, eine Überführung kostet etwa 2500 bis 2800 Euro."

Hauptinhalt seiner Arbeit ist es, seinen Kunden einen Rahmen für ihre Trauer zu schaffen: „Riten sind wichtig für die Menschen, und ich versuche, das meinen Kunden immer wieder klar zu machen. Man sieht an der westlichen Kultur, wie schwierig es ist, wenn es keine Riten mehr gibt und den Leuten nicht mehr die letzte Ehre erwiesen wird. Die Menschen verschwinden einfach, werden zu Staub, anonym, allein. Man muß dem Toten als Mensch die letzte Ehre erweisen."

Am Anfang steht der psychologische Beistand. Dann wird über die Details der Beerdigung verhandelt; Coçkun macht die Hinterbliebenen mit dem deutschen Bestattungs-Regelwerk vertraut. Bei einer muslimischen Grablegung sollte der Tote möglichst innerhalb eines Tages unter die Erde kommen, die deutsche Bestattungsordnung sieht eine Wartezeit von zwei Tagen vor. „Einmal kam ein Prinz aus Dubai zu mir. Er wollte seinen Vater innerhalb kürzester Zeit überführt haben. Ich hab ihm gesagt, es ginge nicht, auch nicht mit Geld. Wir seien hier in Deutschland, und die Regeln würden auch für ihn gelten. Nach zwei Tagen haben wir den Leichnam überführt." ­ „In den meisten islamischen Ländern ist es heiß, und die Wege im Dorf sind kurz, da hat man innerhalb von 24 Stunden bestattet. Heute haben wir Kühlhäuser, alle haben keine Zeit, da muß man planen."

Dann die Sache mit dem deutschen Sargzwang. „Muslime in den islamischen Ländern werden auch im einfachen Holzsarg bestattet. Man kann den Sargdeckel verkanten, dann ist der Sarg offen. Das war noch nie ein Problem hier in Deutschland." Aber es gebe Grenzen der Vereinbarkeit, die für Coçkun bei der Vermischung der religiösen Riten anfangen. „Einmal kam eine Familie zu mir, deren Vater gestorben war. Deutscher, vor 25 Jahren zum Islam konvertiert und mit einer Muslima verheiratet. Die Familie verlangte Waschung, Totengebet und Feuerbestattung. Ich sagte, daß es das nicht gebe. Muslime werden in der Erde bestattet. ,Aber er hat es doch so gewollt', sagten sie. ­ ,Ja, allerdings hat er auch 25 Jahre als gläubiger Muslim gelebt.' Wir haben ihn dann richtig islamisch bestattet."

In der Praxis kommt es zu Schwierigkeiten, wenn die Hinterbliebenen die Feuerwehr rufen. Die meisten Notärzte attestieren nur „Todesursache unklar", als Folge beschlagnahmt die Kripo die Leiche. „Vor zehn Jahren war die Kripo völlig überfordert, als hundert Männer kamen, die alle in gebrochenem Deutsch die Herausgabe des Leichnams forderten. Sie mußten den Trauernden zeigen, was eine Staatsmacht ist. Da wurde schon mal später freigegeben als notwendig." Coçkun hat die islamischen Bestattungsregeln ins Deutsche übersetzt und bei den Beamten Überzeugungsarbeit geleistet. „Es hat sich einiges gebessert. Inzwischen bekommen wir in solchen Fällen die Leiche in einer Woche frei, früher war unter zwei Wochen nichts zu machen." Als Dienstleister muß er den Arzt dazu bringen, den Totenschein auszufüllen und den Bericht zu übergeben, um die „Beglaubigungstrecke" zu machen: Meldestelle, Standesamt, zurück zur Meldestelle. Die Angehörigen müssen sagen, wo und wie begraben werden soll, die Grabstelle muß bei der Friedhofsverwaltung beantragt werden, der Fuhrpark will koordiniert sein, und der Imam hat auch nicht immer Zeit.

Viele Verstorbene werden noch immer in die Heimatländer überführt, aus psychologischen Gründen: „Die Leute leben im Kopf weiter in ihrem Dorf. Wenn ich die Angehörigen frage, wann sie das letzte Mal dort waren, stellt sich meist heraus, daß sie ewig nicht da waren und zum Urlaub nach Antalya fahren." Er rate dann, hier zu bestatten. Seit 1988 ist dies für Muslime auf dem Landschaftsfriedhof in Gatow möglich. Dort gibt es einen Waschraum, wo der Verstorbene gewaschen und in Leinentücher eingehüllt wird. Die Stoffmenge ist unterschiedlich, bei Sunniten bis 10 Meter, bei den Aleviten bis 40 Meter. Da passe noch nicht einmal der Dünnste in einen normalen Sarg, erzählt Coçkun. Auch bosnische Muslime verlangten zeitweise Unmögliches, wenn der Leichnam zunächst mit einem Anzug bekleidet und dann eingehüllt werden sollte: „Im Grunde ist es mit dem Leinentuch so: Wenn wir geboren werden, werden wir in ein Tuch gewickelt, und wenn wir sterben, noch einmal. Muslime werden nackt eingewickelt, das Totenhemd hat keine Taschen, in denen man etwas mitnehmen könnte."

Nach der Waschung spricht der Imam das Totengebet, die Männer tragen den Leichnam zum Grab, die Gemeinde folgt. Daß Frauen von der Beerdigung ausgeschlossen würden, käme sehr selten vor, so Coçkun. Alle gehen hin, auch die Kinder. Der Sarg wird herabgelassen und mit Erde bedeckt, später kommt der Grabstein. Meist stehen der Name und die Lebensdaten darauf, vielleicht noch ein Vers. Fotos oder Berufsbezeichnungen auf den Grabsteinen gibt es in Gatow nicht.

„Gehen Sie auf einen Friedhof in irgendeiner Stadt in einem islamischen Staat, was sehen Sie? Ein totales Durcheinander, da sind zwei Grabsteine kreuz und quer, dort wußten sie nicht, wie sie die Leiche bestatten sollten, und dann liegt sie nicht gen Mekka. In Gatow sind die Gräberreihen richtig ausgerichtet, der Ort wird gepflegt, es gibt eine Verwaltung, und alles hat seine Ordnung. Das sage ich immer meinen Kunden. Sie haben dort einen ruhigen Ort, wo sie hingehen und gedenken können. Das hilft ihnen doch nicht, wenn ihr Toter in der Türkei liegt. Den brauchen sie doch hier."

Katja Brinkmann

 
 
 
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