Ausgabe 09 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Das Lichtenberger Studio Bildende Kunst
vor dem Aus

Eine typische Ostberliner Wohnsiedlung mit Plattenbauten und einem Supermarkt findet sich dort, wo der Bezirk Lichtenberg an Friedrichshain grenzt. Nicht leicht zu finden ist die John-Sieg-Straße 13. Gar zu versteckt liegt die alte Jugendstil-Villa in einem kleinen Garten. Kein Schild ist am Eingang zu finden. Dabei hat sich dort ein ungewöhnliches Projekt aus der DDR erhalten: das Studio Bildende Kunst Berlin-Lichtenberg. 1976 wurde es als Teil des Lichtenberger Kulturbundes mitten in der Wohngegend zwischen Plattenbauten und Hochhäusern eröffnet. Der Bevölkerung sollte die Kunst nahegebracht werden. Konflikte mit der DDR-Bürokratie blieben nicht aus: „Wir wurden zur ,negativen Keimzelle' und gleichzeitig zum Vorzeigeobjekt für schöpferische Eigeninitiativen erklärt", schreibt der erste Studioleiter Wolfgang Kallauka in einer Schrift zum 20jährigen Jubiläum.

Anders als viele ähnliche Projekte überlebte das Studio die Wendezeit. Unter dem Namen „Inventor e.V. Berliner Graphikfreunde" wurde es 1991 ins Vereinsregister aufgenommen. Die Villa hatte sich in den letzten Jahren zu einer von Berlins ersten Adressen für Grafikausstellungen entwickelt. Schon in den Jahren 1992 bis 1994 wurden unter dem programmatischen Titel „Brückenschläge" drei Ausstellungen gemeinsam mit der Druckwerkstatt des Kreuzberger Kunsthauses Bethanien realisiert. Der Blick des Kupferstechers war der Titel einer viel beachteten Exposition im Herbst 1995.

Jetzt droht das Projekt den Berliner Sparplänen zum Opfer zu fallen. Unter den 33 bezirklichen Einrichtungen, die im Haushaltsplan des Bezirks Lichtenberg für die Jahre 2004/05 im Zuge der Einsparungen wegfallen sollen, ist auch das Studio Bildende Kunst John-Sieg-Straße. „Kein Künstler würde auf der Straße stehen. Die einzelnen Projekte sollen dann nach Karlshorst ausgelagert werden", beruhigt die Pressestelle des Bezirksamtes. Für die betroffenen Künstler ist das allerdings nur ein schwacher Trost. „Wir haben in den letzten Jahren eine Grafikwerkstatt aufgebaut, die nicht einfach verlegt werden kann", meint der Maler Ulrich Dietzmann. Er gehört zu den Westberliner Künstlern, die das Lichtenberger Studio in den letzten Jahren kennen- und schätzengelernt haben.

Über 600 Unterschriften gegen die Schließung des Studios sind schon bei den Bezirkspolitikern eingegangen. Auch mehrere Professoren an Berliner Kunsthochschulen gehören zu den Protestierenden. Viele Auszubildende setzen sich für seinen Erhalt ein. Im Studio Bildende Kunst werden junge Menschen in 80 Facharbeiterberufen ausgebildet, u.a. als Feuergießer, Grafiker und Restauratoren. Außerdem widmet sich das Studio der Stadtteilarbeit. Es bietet Orientierungskurse für Absolventen mehrerer Lichtenberger Schulen ebenso an wie Seniorenkurse mit künstlerischem Inhalt. Diese Programmpunkte sind eng an den momentanen Standort gebunden. Bei Nutzern des vielfältigen Programms hat die drohende Schließung natürlich zu Unruhe und Protesten geführt.

So viel Öffentlichkeit hat auch in der Politik zu Diskussionen geführt. Mittlerweile hat sich die Lichtenberger PDS-Fraktion für den Erhalt der Künstlervilla ausgesprochen. Die Bezirksbürgermeisterin hält das nur für möglich, wenn die Arbeit auf ehrenamtlicher Basis weiterläuft. Doch dazu müssen zusätzlich Sponsoren gefunden werden. Nicht nur Stefan Friedemann von Inventor ist skeptisch. Schließlich hat die Behörde die Stelle des Studioleiters Bückert schon gestrichen.

Peter Nowak

 
 
 
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