Ausgabe 09 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Kurz vor der Entgleisung

Die Punk-Bewegung wird retrospektiv zur Kunstmode verharmlost

Ein Phänomen, das schon zu Zeiten seiner höchsten öffentlichen Präsenz immer wieder für tot erklärt worden war, erlebte in den letzten Jahren eine seltsame Auferstehung. „Punk's not dead" hieß ein Lied von Exploited Anfang der Achtziger, die Geschichte scheint den Transzendentalphilosophen von einst recht zu geben: Punk hatte von Ende der siebziger bis Mitte der achtziger Jahre seinen Höhepunkt – als Musikstil, als Moderichtung, als Jugendbewegung. In den Neunzigern führte er eine wenig Aufmerksamkeit heischende Randexistenz. Seit etwa 2000 jedoch versuchen diverse Bücher und Ausstellungen, sich der Geschichte des Punk (oder was immer die jeweiligen Macher dafür halten) zu nähern, mit entsprechender Kanonisierung der Heroen von einst. Zudem tritt Punk seit kurzem in Form eines Wiedergängers unter dem Namen Neopunk wieder in Erscheinung: nicht nur als ein musikalisches, sondern auch als ein (tatsächlich!) modisches Revival.

Unwillkürlich fragt man sich, was von dem, was Punk einst war, sich in der derzeitigen Rezeption hierzulande wiederfindet und was nicht. Schließlich war Punk von Beginn an ein vielschichtiges und vor allem widersprüchliches Phänomen, was nicht zuletzt an seinem sehr schrägen Verhältnis zur Musikindustrie lag. Einerseits sagte man ihr den Kampf an und gründete eigene Labels, mit deren Hilfe bewußt fehlerhafte, nicht für die Ewigkeit gedachte Platten Verbreitung fanden (manch einer lehnte jegliche Veröffentlichung von Tonträgern ab oder wollte nur direkte ProberaumMitschnitte dulden), andererseits ist die Geschichte des Punk ohne die Sex Pistols und den damit verbundenen Medienhype nicht denkbar.

Ob er hierzulande ohne Bravo und Fernsehen überhaupt angekommen wäre, ist mindestens fraglich. Durch seine massenmediale Verbreitung verließ er auch sein soziales Milieu. War Punk in England eine Bewegung der weißen proletarischen Unterschicht, dominierten sowohl in West- als auch in Ostdeutschland Kinder aus Mittelstandsfamilien die Szene. Hier stand Punk eher für eine radikal-oppositionelle Haltung, die sich anfangs sowohl gegen Rechts als auch gegen Links abgrenzte. Was natürlich keineswegs hieß, daß man sich nicht der Symbole der einen wie der anderen Seite bediente – zum Zwecke der Provokation. Arbeiter gaben lediglich in der besonders räudigen Oi!-Punk-Bewegung, die ab 1980/81 jedes Punkkonzert in ein Scherbenmeer mit allseits herumliegenden Alkoholleichen verwandelte, den Ton an. Es ist sicher kein Zufall, daß Oi!-Punks in der „Geschichtsschreibung" von heute weitgehend totgeschwiegen werden, ähnelten sie doch zu sehr marodierenden Hertha-Fröschen, und die haben nirgendwo eine Lobby.

Statt dessen häufen sich Zeugnisse, in denen der künstlerische, gleichwohl nicht zu leugnende innovative wie inspirierende Aspekt des Punk über Gebühr betont wird. Zu nennen wären hier die Ausstellung lieber zuviel als zuwenig, die neulich in der NGBK zu sehen war, oder die Bücher Kunst – Musik. Deutscher Punk und New Wave in der Nachbarschaft von Joseph Beuys von Thomas Groetz und – weniger kunstquargelnd und doch nur wieder die Vorzeige-Musiker verherrlichend – Verschwende deine Jugend von Jürgen Teipel. Punk wird hier als künstlerische Avantgarde geadelt und über diesen Umweg nachträglich in die Hochkultur aufgenommen. Das mag zwar nett gemeint sein, grenzt bei Lichte betrachtet jedoch an Rufmord. Ein Punk von damals hätte den Jungs dafür schlicht in die Fresse gerotzt.


Foto: Bernd Potschka

Verschwende deine Jugend macht wenigstens deutlich, wie unterschiedlich sich Punk in den einzelnen Städten entwickelte. In Düsseldorf entstanden – unter dem Einfluß der Beuys-Schüler aus der um die Ecke gelegenen Kunsthochschule – unter der Bezeichnung Punk auch experimentelle oder elektronische Formationen mit einer Punk-untypischen Distanz zum Publikum. Wenn diese Kunst-Combos in anderen Städten auftraten, beschimpfte man sie denn auch oder attackierte sie gar handgreiflich. Laut den ZAP-Herausgebern müssen besonders die Konzerte in der Hamburger Markthalle einem Spießrutenlauf geglichen haben. Die Hamburger Szene entwickelte sich allerdings auch weniger unter dem Einfluß einer Kunsthochschule, als unter dem des Hafens und war durch die englischen Matrosen deutlich stärker am Original orientiert. Hier sang man in den ersten Jahren zum Teil sogar noch auf Englisch, selbst Slime, die Anarcho-Punk-Band schlechthin, brachten ihre erste Platte zweisprachig heraus.

Der Politpunk kommt in den genannten Veröffentlichungen überhaupt nicht vor. Dabei war Punk in keinem anderen Land derart stark mit den Autonomen verwoben wie in der alten BRD und vor allem in Westberlin. Viele Autonome haben als Punks im Westberliner Häuserkampf Anfang der Achtziger angefangen, Orte wie das Ex im Mehringhof oder das Kob in der Potsdamer Straße waren wichtige Punkschuppen und gleichzeitig politische Treffpunkte. Punk war der Soundtrack der Autonomen-Bewegung. Diesen Aspekt findet man lediglich in Veröffentlichungen aus dem Umfeld des ZAP-Fanzines, wie If the kids are united von Martin Büsser, hinreichend gewürdigt, wenn er die weitere Entwicklung des Politpunk zum Hardcore beschreibt. Allerdings verklärt er gerne alles Widerständische des Punk zu etwas Politischem und betont es damit unangemessen.

Was einer solchen Punk-„Geschichtsschreibung" fehlt, ist der Blick für das Ganze; die Deutungsmächtigen von heute kaprizieren sich nur allzuoft auf bestimmte (besonders schillernde oder als solche begriffene) Teile des Phänomens: Verschwende deine Jugend zum Beispiel behandelt einen beschränkten Zeitraum und konzentriert sich auf nur drei Städte; die lieber zuviel als zuwenig-Ausstellung beschäftigte sich mit den Künstlern im Punk-Umfeld, die Musik geriet zum komisch wabernden Hintergrundgeräusch. Eine wirklich umfassende Betrachtung wird nicht geleistet, man versucht sich nicht einmal daran. Einzige Ausnahme in diesem Zusammenhang bildet vielleicht das Buch Wir wollen immer artig sein... von Ronald Galenza und Heinz Havemeister, das eine Gesamtschau auf Punk und New Wave in der DDR zu vermitteln sucht. Doch selbst in dieser Publikation verrutscht die Perspektive: Die Auskunftswilligsten, um nicht zu sagen: die redewütigsten Selbstdarsteller, entstammen zwar durchaus der recht heterogenen Szene rund um Punk, waren jedoch selten die Hauptprotagonisten (wie etwa Freygang-Sänger André Greiner-Pol).

Punk war, besonders in seinen Anfängen, ein sehr komplexes Phänomen mit zum Teil äußerst ambivalenten Ansätzen. Vieles war möglich: „Du kannst alles" bedeutete ja nicht nur, daß jeder, der Musik machen wollte, auch Musik machte, sondern weitaus mehr. Der Blick auf einzelne Details schärft bei Punk gerade nicht den Blick auf das Gesamtphänomen; so nimmt man nur das, was Punk auch war, als Punk an sich wahr.

Einen Sonderfall stellt der Film Verschwende deine Jugend dar, der im übrigen nichts mit dem Teipel-Buch zu tun hat. Regisseur Benjamin Quabeck sagt zu seiner im Punk- und New Wave-Milieu der Achtziger angesiedelten Coming of Age-Geschichte: „Historische Details interessieren mich nicht." Er erhebt also nicht den Anspruch, etwas zu beschreiben, was tatsächlich so stattgefunden hat, aber weshalb bedient er sich dann des Punk-Hintergrundes? Ist es einfach eine schrille Kulisse? Oder möchte der Filmemacher Punk als drollige Modeerscheinung vorführen, etwa weil derzeit die Achtziger Jahre-Retro-Welle läuft? Wenn dem so sein sollte, sagt das natürlich auch etwas darüber aus, wie Punk heute wahrgenommen wird.

Genauso merkwürdig wirkt das Aufkommen des Neopunk, wohl eingeleitet durch das erste lobumhudelte Album von den Strokes Is This It, dessen melodiöser Schrammelsound doch sehr an schon mal Gehörtes, wie etwa die Songs der frühen Wipers erinnert. Eine Wiederholung der großen Punk-Gebärde inklusive aller Punk-Standards; es fehlt das Neue, Provozierende, Sich-selbst-Erfindende – wie auch im Punk-Moderevival der letzten Jahre. Sich heute einen Irokesenschnitt aufzukämmen, bedeutet erst einmal gar nichts. Die Provokation von einst ist mittlerweile keine mehr; jeder zweite Fußballer – der weichgespülte und medienkompatible Dauerfloskler per se – läßt sich die Haare solcherart toupieren. So erscheint Neopunk nur als ein Vehikel für Frustration, Langeweile, verhalten geäußerte Wut und Selbstinszenierung.

Punk ist (oder besser war) in nicht unbeträchtlichem Maße: Anarchie, Entgleisung, Explosion, die Möglichkeit, das genau Falsche zu tun. Neopunk à la Strokes oder White Stripes ist, selbst wenn man ihn nicht einfach nur als Zitat begreift, etwas Vermitteltes, reinklingendes und reingewaschenes Rebellentum, das auch nur ein weiteres (aber immerhin noch verbreitetes) Bedürfnis abdeckt und konsumierbar macht. Bestenfalls vermittelt es: einen Zustand kurz vor der Entgleisung. Was aber immerhin hoffen läßt. Auf eine Musik, die später kommt. Und anderes. Die Sex Pistols waren schließlich auch nur eine Karikatur auf den damaligen Punk.

D. Skorupinski/R. Abbiate

* Jürgen Teipel: Verschwende deine Jugend, Suhrkamp Verlag.
Frankfurt am Main 2003. 12,50 Euro

* Ronald Galenza/Heinz Havemeister (Hg.): Wir wollen immer artig sein..., Schwartzkopf & Schwartzkopf. Berlin 1999. 20,90 Euro

* Martin Büsser: If the kids are united, Ventil-Verlag. Mainz 2000. 10,64 Euro

* Thomas Groetz: Kunst – Musik, Martin Schmitz Verlag. Berlin 2002. 14,50 Euro

 
 
 
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