Ausgabe 09 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Selbstverpflichtungen und Machtübergabe

Lokale Agenda 21 (I)

Parallel zur staatlichen Lokalpolitik und zu den Programmen der „Sozialen Stadt" versucht seit Jahren eine Initiative namens „Lokale Agenda 21" Einfluß auf die Berliner Stadtentwicklung zu nehmen. In den nächsten Ausgaben wird scheinschlag einige der dort organisierten Projekte, ihre Themen und ihre Ziele beschreiben. Wir danken der Projektagentur „Zukunftsfähiges Berlin" am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung und der Grünen Liga für ihre Unterstützung.

Was verbirgt sich hinter der „Initiierung von Modellen zur Verankerung der Nachhaltigkeitsstrategie im ökumenischen Prozeß für Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungsbewahrung", die sowohl die Rettung der Roßkastanien, als auch die famosen „drei I" („interreligiöses Forum", „interreligiöser Dialog" und „interkulturelle Kommunikation") beinhaltet? Ein Netzwerk „besser leben" in Lichtenberg, eine „Nachhaltigkeitstour" in Charlottenburg-Wilmersdorf, „interkulturelle Gärten" in Köpenick, „ökologische Kunst" in Pankow, eine „Jugendstraße" oder ein „Lesen und Schreiben e.V." in Neukölln ­ was hat das zu bedeuten?

Wer sich über die Lokale Agenda 21 (LA21) informieren will, wird schnell fündig. Die Zeitungen und öffentlichen Verlautbarungsseiten im Netz sind voll von Projekten, die sich als Beitrag zur oder Erfolg der LA21 ausgeben. Eine klare Definition ist jedoch nur schwer auszumachen. Kein Wunder: Die LA21 ist das, was man eine eierlegende Wollmilchsau nennt. Ein Querschnitt durch nahezu alle Politikbereiche soll sie sein, sich dabei der verschiedensten Aktionsformen bedienen und alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen ins Einvernehmen bringen. Sie ist ein „Prozeß", ein „Netzwerk" sowie ein ideologischer Leitfaden ­ und soll schon im nächsten Jahr ein handfestes politisches Maßnahmenpaket werden.

Die Geschichte der LA21 beginnt 1992 mit der Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung von Rio de Janeiro. Der Kalte Krieg war noch in Erinnerung, und mancher hoffte auf eine „Friedensdividende" in Form eines weltweiten Fortschrittsschubs bei sozialen Fragen sowie beim Umwelt- und Klimaschutz, der allmählich als drängendes Problem erkannt wurde. Unter starkem Einfluß der Nichtregierungsorgansationen (NROs) wurde ein UN-Dokument beschlossen: Die Agenda 21.

Es folgten weitere internationale und regionale Konferenzen zur sozial- und umweltverträglichen Stadtentwicklung. Die vorerst letzte fand vor zwei Jahren in Berlin statt: die „Urban 21", die einen Weltbericht zur Zukunft der Städte hervorbrachte. Darin wimmelt es von politischen Modewörtern wie „best practices" (beispielhafte Lösungen), „empowerment" (Übergabe von Macht an Betroffene) oder „good governance" (gute Regierungspraxis); besonders häufig ist von „Nachhaltigkeit" die Rede. Nach der klassischen Definition bedeutet das, Ressourcen nicht schneller zu verbrauchen, als sie sich regenerieren können.

Der schillernde Begriff wurde seit Rio reichlich ausgeweitet und bezeichnet heute von Agrarreformen über Sozialabbau bis zu Bombenkriegen alles und jedes ­ und damit nichts. Ein anderes LA21-Schlagwort aber hat seine Bedeutung nicht verloren: „Global denken, lokal handeln." Das ökologisch und sozial vernünftige Gemeinwesen der Zukunft soll nicht in Weltberichten vorformuliert und auf Konferenzen beschlossen werden, sondern vor Ort entstehen. Jede Kommune soll einen eigenen Plan entwickeln, der dann zur Grundlage ihrer Politik werden kann.

Ende 2001 bilanzierte der Gipfel von Johannesburg, daß weltweit 6416 Gemeinden an einer lokalen Agenda arbeiten. Auch Berlin ist seit 2000 dabei. Hier gibt es „Bezirksgruppen", also kommunale LA21-Büros, die sich darum bemühen, neue Projekte anzustoßen oder bereits laufende zu fördern, zu vernetzen und allgemein bekannt zu machen.

Auf Landesebene geht es vor allem um die LA21 im engeren Sinn, also um die Aufstellung eines verbindlichen politischen Maßnahmenkatalogs. Auf neun „Fachforen" zu Themen wie Arbeit, Bildung oder Klimaschutz erörtern Vertreter von NROs und Bürgerinitiativen, Verwaltung, Politik und Wirtschaft Vorschläge, die dann regelmäßig auf einem berlinweiten „Agendaforum" vorgestellt und abgesegnet werden. Auch dort sind verschiedene gesellschaftliche Gruppen repräsentiert: Wirtschaft, Lohnarbeiter, NROs und lokale Gruppen. Auch die Verwaltung und die Politik, die in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine spezielle LA21-Arbeitsgemeinschaft eingerichtet hat, entsenden eigene Vertreter. Das nächste Agendaforum ist für November geplant. Laut Beschluß des Abgeordnetenhauses soll „im Herbst 2003" die Berliner Agenda 21 beschlossen und zum bindenden politischen Ziel werden.

„Interkulturelle Gärten", „ökologische Kunst" und „interreligiöse Foren" als Schrittmacher eines epochalen Politikwechsels? Noch dazu in Zeiten, in denen weder engagierte Bürgerinitiativen, noch die Verwaltung, sondern vor allem die Wirtschaft den Ton angibt?

Hartwig Berger, ehemaliger Berliner Landtagsabgeordneter für die Grünen und Soziologie-Dozent an der FU, zeigt sich skeptisch. In seinem Buch Entgrenzte Städte kritisiert er den Begriff der Nachhaltigkeit als schwammig, die Konferenzen seit Rio als ergebnislos und die Berliner LA21 als akademisch und bürgerfern. Ihr Inhalt und ihre Organisation, ja sogar der Name selbst seien weitgehend unbekannt, selbst in einem Bezirk wie Köpenick, der schon seit 1993 engagiert ist, sind nach Bergers Schätzung nicht mehr als 200 Menschen an der LA21 beteiligt.

Besonders stört Berger ­ ein Veteran der Anti-Atomkraft-Bewegung und einer der letzten Verfechter einer „politischen Ökologie" ­, daß die Gegensätze zwischen verschiedenen Interessengruppen nicht ausgefochten, sondern „heruntergespielt" werden. „Der Nachhaltigkeitsdiskurs ist insofern eine bequeme Zumutung an Machteliten", schreibt er und fordert ein „radikales Umgestaltungsprogramm" insbesondere für die Wirtschaft.

Ähnliche Einwände kommen auch von links. Eine Untersuchung der Berliner Mietergemeinschaft etwa monierte am Weltbericht zur Urban 21 den „durchgängig neoliberalen Duktus". Eine „Entwicklung ihrer eigenen Humankapital-Ressourcen", mit der sich laut Weltbericht die Bewohner der Städte „selbst befreien" sollen, sei angesichts der weltweit wachsenden sozialen Gegensätze bestenfalls naiv, wenn nicht gar zynisch.

Stefan Richter von der Grünen Liga weiß um diese Vorwürfe. Auch er kennt die Konflikte zwischen Reich und Arm, zwischen Verwaltung und Aktivisten, Wirtschaft und Ökologie oder Dritter und Erster Welt; auch er vermißt verbindliche politische Schritte und vor allem Kontrollmechanismen, die ihre Umsetzung garantieren. Dennoch sind er und sein Verein maßgeblich an der LA21 beteiligt. Daß viele Konflikte nicht klar zu gewinnen sind, gibt er zu. Aber wichtig sei, daß „alle an einem Tisch" säßen. „An manchen Punkten haben wir unterschiedliche Positionen, da sprechen wir nicht mehr darüber, aber an einem anderen Punkt arbeiten wir zusammen."

Zur Zeit bemüht sich Richter im „Fachforum Klimaschutz" unter anderem um eine Selbstverpflichtung der Bauwirtschaft, auch die Dächer von privaten Neubauten für Solarenergie bereitzustellen. Mitte der Neunziger hatte man versucht, die Bauherren per Gesetz dazu zu verpflichten. Um das zu verhindern, ging die Lobby der Berliner Bauwirtschaft schon damals eine „Selbstverpflichtung" ein, die nicht eingehalten wurde. Mit der LA21 versuchen sich nun auch die Klimaschützer an einer Lobbyarbeit.

Richter sieht keine Alternative: „Die Verwaltung hat ja kaum noch Geld, um allein etwas zu machen." Und wenn man einfach Gesetze erläßt? „Die Politiker wollen, daß alles freiwillig passiert, weil sie Angst haben, als Reglementierer dazustehen. Gesetze gelten als etwas aus der Steinzeit."

Otto Witte

 
 
 
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