Ausgabe 09 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

ditte & menschenkind: Hundefuzz

Auf der Sonnenallee zwischen Treptow und Neukölln sehen Ditte und Menschenkind dort hinten eine ihnen bekannte Gestalt. Menschenkind stupst Ditte in die Seite: „Sieh da, ist das nicht? Ein Fels in der Brandung, eine Windhose aus Mecklenburg-Vorpommern vielleicht – so sieht ein Sieger aus! Einer, der auf der Sonnenseite des Lebens entlang schlendert." „Schappi? Meinst du Schappi?" „Ja, äh, den uns wohl- und ansonsten sowieso stadtbekannten Peter W. Das ist doch Schappi oder Kittekatt oder wie er sich schimpfen läßt ... Er streunt durch die Gegend hier, quasi eine Wolke positiver Energie um sich, unter der wintrigen Weste eine Art Sweatshirt mit der Aufschrift 'Hundefuzz'. Was ist bloß Hundefuzz?"

„Etwas Wunderbares muß es sein, Hundefuzz! Menschenkind, wieso kannst du auf diese ferne Distanz die Aufschrift auf einem Sweatshirt lesen? Hast du etwa neue Kontaktlinsen? Wenn ich dich genauer ansehe, hast du heute auch etwas ungemein Kontaktfreudiges." Sie zieht ihn an sich. „Na?" „Na ja, weiß nicht, also Kontaktlinsen, nee, ich hatte schon immer eine gute Weitsehschärfe, nur eben das Kleingedruckte macht mir Erkenntnisschwierigkeiten. Ob er uns erkannt hat, oder sollen wir zu ihm hingehen und nach Hundefuzz fragen?"

Plötzlich ist der bekannte Unerkannte verschwunden, da hinten, bei der Döner-Bude. „Was ist bloß mit unserem alten Freund los? Er steht doch auf Bockwurst!" Dittes Neugier ist hellwach. „Komm, gehen wir hinterher, vielleicht erwischen wir ihn noch."

In der stumpfen Milchglasscheibe des Hauseingangs, vor dem sie ratlos stehenbleiben, kann Menschenkind nicht erkennen, wie gut er aussieht, darum geht er zur nächsten Eingangstür, die vom Novemberregen blank geleckt scheint. Er dreht und wendet sich. Ja, geht schon. Sollten sie ihren Kittekatterich noch erwischen, muß er zumindest wie eine Eins vor ihm stehen. Wie ein Sieger! Nicht wie ein Knitterknatterich!

Immerhin, sie haben sich seit Wochen oder Monaten (oder sind es doch schon Jahre?) nicht mehr gesehen, geschweige denn gesprochen. Vielleicht hat er uns erblickt und wollte nicht erkannt werden. Mit seinem blöden Hundefuzz! Hätte sich auch ein Hemdchen mit so lustigen Aufdrucken wie etwa „Berlin" oder „DDR" anziehen können. Da hätte er nicht weglaufen müssen.

Oder, eigentlich zählt er ja nicht zu den Ewig-Gestrigen, Kilkenny hätte auch gepaßt! So eine schöne Landschaft mit Milchviehhaltung auf grünem Grund, und vorne fett: Kilkenny! Oder „Bin über 30, bitte helfen Sie die Straße mir über!" Oder Dittes Lieblingswort „ISSO!". Aber Hundefuzz? Da muß sich ja einer verstecken!

„Was wollten wir eigentlich hier, Menschenkind? Du hattest doch ein Ziel vor den Augen!" „Also okay, mir scheint die Sonnenallee zu reichen. Also, die scheint mir exemplarisch zu sein für den schleichenden Übergang und die Durchmischung von Ost- und Westberlin gewissermaßen, ein Schmelztiegel unterschiedlicher Kulturen und Gemüseanbieter, äh, na so was eben, aber Hundefuzz? Hatte ich nicht auf der Rechnung ..."

Ditte kann zwar nicht Gedanken lesen, aber Menschenkind hat seinen deutsch-deutschen Blick. Da scheint sich seine Weitsehschärfe bis ins Unendliche zu dehnen, und seine Gedanken scheinen ihm auf die Stirn geschrieben zu sein.

„Noch ist das Rührei auf dem Tisch! Wie sollen da Küken ausschlüpfen! Ein Gegacker weit und breit. Isso! Menschenkind, aber was wird aus ihm, dem alten Freund? Hatte er nicht auch Geburtstag damals, im schaurigen Monat November, als wir noch eingeladen wurden?" „Was haben wir heute für ein Datum?" Ditte muß Menschenkind die Manschette seiner Jeansjacke zurückstreifen. Noch immer sinnt er vor sich hin. „Na, guck doch mal auf deine Uhr?" Menschenkind folgt. Donnerwetter, der 9. November! „So ein Zufall! Unser alter Freund wird zur Festveranstaltung gehen. Sonnenallee, du verstehst? Aber warum läuft er davon?" Menschenkind zieht zwei Einladungskarten aus der Innentasche. „Wahrscheinlich von Peter W. Und was, wenn wir ihn dort nicht antreffen?" Peter, bitte melde Dich! Und erkläre uns, verdammt noch mal, was ist Hundefuzz?

Brigitte Struzyk/Dieter Kerschek

 
 
 
Ausgabe 09 - 2003 © scheinschlag 2003