Ausgabe 09 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Der schlechte Ruf des Muezzin

Der orientalische Prachtbau, den Sie hier sehen, ist das Werk Ludwig Persius', stammt aus dem Jahr 1843 und steht in jedem Reiseführer. Manchmal, berichten die Nachbarn, kommen Muslime zum Gebet. Sie erleben eine herbe Enttäuschung: Der einzige repräsentative Moscheebau Berlin-Brandenburgs ist keine Moschee, sondern das Pumpwerk von Sanssouci.

Seit den siebziger Jahren bemühen sich die Muslime Berlins um eigene Sakralbauten. Anfangs waren es eher Sozialarbeiter und säkulare Migrantenorganisationen, die die Einwanderer aus den Hinterhöfen hervorlocken wollten. Kommunal verwaltete, überkonfessionelle Moscheen und Kulturzentren sollten den Fundamentalismus zurückdrängen. Die Projekte scheiterten; im Görlitzer Park erinnert nur noch der stillgelegte Pamukkale-Brunnen an die Kämpfe um die alten Lagerhallen gegenüber, in denen die einen eine reine Moschee, die anderen ein deutsch-türkisches Zentrum einrichten wollten.

Moschee

Foto: Knut Hildebrandt

Seitdem sind vor allem die religiösen Verbände aktiv. Systematisch bauen sie ihre Gebetsräume zu Kulturhäusern aus, mit Koranschulen, Jugendarbeit und Frauentreffs. Parallel versuchen einige, den Islam im Stadtbild zu verankern. In Kreuzberg und Neukölln sind derzeit fünf Moscheen geplant, die größte, die Sethilic-Moschee des Verbandes DITIB, steht kurz vor der Fertigstellung. Der Baugrund am Columbiadamm gehört der Türkei und wird seit Jahrhunderten als muslimischer Friedhof genutzt. Damit hat Berlin ein theologisches Kuriosum zu bieten, denn Friedhofsmoscheen gibt es nicht. Außerdem ein kleiner Bauskandal: Der Bau ist einige Meter höher als genehmigt, was bei den Behörden für Empörung sorgte.

Ein paar Kilometer weiter verfolgt der Islamische Verein für wohltätige Projekte (IVWP) ein Neubauprojekt. Auf dem ehemaligen Bolle-Grundstück am Görlitzer Bahnhof will der unabhängige Moscheeverein sein „Maschari-Center" errichten, eine Mischung aus Kulturzentrum, Sakralbau und Shopping Mall. Die Islamische Föderation Berlin (IFB) versucht schon seit Jahren, für den großzügigen Neubau ihrer Mevlana-Moschee am Kottbusser Tor eine Genehmigung zu erhalten; für eine weitere Moschee hat sie an der Falckensteinstraße ein Grundstück gekauft. Und in der Pflügerstraße in Neukölln will der Verein Inssan ein religiöses und kulturelles Zentrum errichten.

Außer dem Namen „Moschee" haben diese Projekte wenig gemeinsam. DITIB vertritt den türkischen Staatsislam, seine Imame sind Beamte der Türkei. Der IVWP hat einen libanesischen Hintergrund und gibt sich theologisch äußerst liberal, während die IFB aus dem politischen Islam der türkischen Exilopposition entstand. Vor zwei Jahren machte sich die IFB einen Namen, als sie ­ auf dem Klageweg und gegen den Willen der Behörden ­ einen muslimischen Religionsunterricht an Berliner Grundschulen durchsetzte. Inssan schließlich knüpft an die Moscheenprojekte der Siebziger an. Die Vereinssprache ist Deutsch; Hauptziel ist die Vermittlung zwischen deutsch-christlicher und muslimischer Kultur.

Die freilich wird immer schwieriger. Die muslimischen Einwanderer verarmen; sie sind die ersten Opfer der sozialen Spaltung. International sind radikale Varianten des Islam auf dem Vormarsch, und hierzulande regiert bei den Podiumsdiskussionen, auf den Ämtern und in den Medien die Angst: Ein Jugendclub produziert Autobomben, ein Kopftuch bedroht die Verfassung, ein Kuppelbau zerstört die Identität der Stadt.

Von den Gebräuchen, der Theologie, der Geschichte und Organisation des Islam wissen wir nichts. Wir kennen nur das Klischee. Schlimme Fernsehbilder. Urlaubsfotos. Ein eklektizistisches Pumpwerk.

Johannes Touché

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