Ausgabe 08 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Qualifikation durch Ausbeutung

Die Idealisten des internationalen literaturfestivals berlin

Beim internationalen literaturfestival berlin war viel von „Idealismus" die Rede, um von den Arbeitskräften Lohnverzicht einzufordern. Der Chauffeur soll den Literaturprof aus Honululu ins Hilton fahren, am liebsten ganz ohne Lohn, wenn's denn sein muß für fünf Euro die Stunde, weil es doch um Kultur geht, weil das doch für einen akademisch gebildeten Taxifahrer das Ideal einer Fahrt ist, die er deshalb als Bereicherung seines Lebens empfindet – ganz abgesehen von profan materiellen Dingen wie Lohn und Mietschulden. Bei den Arbeitsanweisungen dagegen wurde das mögliche Mißverständnis eines zumindest teilweise ehrenamtlichen Charakters der Arbeit gleich zu Beginn ausgeräumt: Die Fahrgäste möchten bitteschön nur seichte Musik – Klassik oder Jazz-Radio – hören, wer sein Auto nicht sauber halten kann, hat den Beruf verfehlt, ihr repräsentiert S`´koda, Stadtpläne sind nicht in den Autos, weil die sonst von den Fahrern geklaut werden, gepflegtes Auftreten, aber das ist ja selbstverständlich.

Das wäre ein ganz normaler, unterbezahlter, aber zeitlich begrenzter Job und eine übliche Masche, Arbeitskräfte zu werben, wären da nicht noch die hundert völlig unbezahlten akademischen Praktikanten, die die Idealismus-Rhetorik verinnerlicht haben und auf die entsprechenden Reize wiedergeben. Zwischen „Man muß mehrere Praktika vorweisen können, um einen Job zu bekommen" und „Es ist allgemein schwierig, einen Job zu bekommen" sehen sie offenbar keinen Zusammenhang und erledigen die Arbeit, die sie gerade suchen, umsonst. Sie klammern sich an die glitzernde Welt der großen Namen, der Hotels, Fahrservices und Buffets, um ihre Arbeitslosigkeit zu kaschieren, solange sie das noch finanzieren können. Sie hoffen auf die eigene Karriere in dieser Sphäre, deren Konkurs sie so deutlich vor Augen haben.

Deshalb ist es wohl auch ganz recht, daß der Veranstalter auf seiner Webseite zwar den zahlreichen Sponsoren aus der Wirtschaft dankt, aber den Makel verschweigt, daß die allermeiste Arbeit unbezahlt, „idealistisch" geleistet wird. Das Sponsoring zahlen Autoindustrie und Hotelbranche mit ihren Überkapazitäten. An Glitzer und Luxus ist kein Mangel, aber jeder Euro Lohnzahlung geht eigentlich nicht, ist ein aus den Rippen geschnittenes Entgegenkommen. Wer es sich leisten kann, führt den normalen Angestellten vor, daß deren Lohnforderung Ausdruck fehlenden Idealismus' ist. Entfremdete Arbeit durch Verzicht auf den Arbeitslohn zu erhalten, ist aber nicht Idealismus und soziales Engagement, sondern Lohndumping und Verwirrtheit – also nur eine weitere Facette der „Modernisierung des Sozialstaates".

Martin Eigmüller

> Der Autor arbeitete als Chauffeur für das internationale literaturfestival berlin

 
 
 
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