Ausgabe 08 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Die Quote und die Realität

Deutsch als Fremdsprache: Ein Bericht von der Weddinger Schulfront

scheinschlag sprach mit einem Lehrer der Weddinger Willy-Brandt-Gesamtschule über Sprachbarrieren im Schulalltag und den Versuchen, sie zu überwinden.

Immer wieder wird das Thema der Quotierung von nicht-deutschen Kindern an deutschen Schulen lanciert. Wie hoch ist der Realitätswert solcher Äußerungen?

Äußerst gering. Ich glaube, daß es sehr schwierig sein wird, die aktuelle Situation zu verändern, auch wenn es für den Spracherwerb der ausländischen Schüler von Vorteil wäre.

Wie ist die konkrete Situation an Ihrer Schule?

An dieser Schule sind etwas über 80 Prozent der Schüler nicht-deutscher Herkunftssprache, überwiegend türkischstämmig.

Und wie ist das Sprachvermögen dieser Kinder?

Das ist sehr unterschiedlich. Mündlich können sich die Kinder relativ gut verständigen, schriftlich meist sehr schlecht. Wenn man auf exakte Sprache achtet, ist das Können eher gering. Das ist aber natürlich, wenn man hier wohnt. Man muß nicht Deutsch können, wenn man im Wedding lebt.

Aber die Schule hat ja die Aufgabe, auf das Leben im allgemeinen vorzubereiten, d.h. die Kinder sollten sich überall zurechtfinden.

Richtig, das ist unsere Aufgabe. Deswegen sage ich, daß es sehr schön wäre, wenn man das steuern könnte, weil die Schule tatsächlich der einzige Ort ist, an dem einige Schüler Deutsch sprechen. In dieser Gegend gibt es vom Bäcker bis zur Bank Einrichtungen, die keine deutschen Sprachkenntnisse erfordern. Die deutsche Sprache findet oft nur im Unterricht statt.

Wie gehen die deutschen Schüler und ihre Eltern damit um? Ist Ihre Schule für deutsche Kinder noch attraktiv?

Ein Teil der Eltern meldet ihre Kinder hier bewußt nicht an, wenn sie hören, wie hoch die Ausländerquote ist.

Welche strategischen Möglichkeiten der Integration gibt es denn, um dies zu verhindern? Müßte eine Spracherziehung nicht-deutscher Kinder nicht bereits im Kindergarten erfolgen?

Unbedingt. Ich denke, das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Man müßte erreichen, daß ausländische Mitbürger die Möglichkeit erhalten, sich auch in Stadtteilen anzusiedeln, in denen sie nicht nur ihre Landsleute treffen, sondern gezwungen sind, auch im täglichen Leben die deutsche Sprache zu benutzen. Wenn man das schafft, würde auch ein Umdenkungsprozeß einsetzen. Es gibt beispielsweise auch ausländische Eltern, die ihre Kinder hier nicht anmelden, und zwar diejenigen, die wünschen, daß ihre Kinder weiterführende Bildungseinrichtungen besuchen. Das ist hier im „Armenhaus" rund um den Gesundbrunnen schwierig.

Gibt es an Ihrer Schule eine konkrete Sprachförderung, die über den normalen Unterricht hinausgeht?

Es gibt die Möglichkeit für unsere Schüler, zusätzlich zum „normalen" Deutschunterricht das Fach „Deutsch als Zweitsprache" zu belegen. Dort wird ganz explizit die Förderung der Sprache in Bezug auf Wortschatzerweiterung, Rechtsschreibung und Grammatik betrieben.

Ist das eine Wahl- oder eine Pflichtveranstaltung?

Für alle Schüler, die bei uns in der siebten Klasse ankommen, gibt es einen Sprachstandstest, und diejenigen, für die es am Dringendsten erscheint, müssen diesen Kurs als reguläres Unterrichtsfach belegen, damit sie dem Unterricht folgen können. Dort werden dann auch gezielt Vokabeln durchgenommen, die man beispielsweise in Biologie oder Geschichte braucht.

Wäre es sinnvoll, Unterricht beispielsweise auf Türkisch anzubieten und parallel den deutschen Spracherwerb intensiv zu fördern, um die Inhalte adäquat zu vermitteln?

Das ist eine Sache, die sehr kontrovers diskutiert wird. Es gibt bei uns für türkischstämmige Schüler die Möglichkeit, einen Kurs zu belegen, der in der neunten und zehnten Klasse in der Muttersprache stattfindet, weil einige Schüler weder richtig Deutsch noch Türkisch können.

Wäre es dann nicht sinnvoll, im ersten halben Jahr den Fokus ausschließlich auf den Spracherwerb zu lenken, damit hinterher alle möglichst chancengleich dem Unterricht folgen können?

Das halte ich für illusorisch, denn die Schüler haben ja im Prinzip die ersten sechs Jahre in der Grundschule Deutsch gelernt.

Aber wenn Schüler nach sechs Jahren Schule immer noch eklatante „Sprachmängel" aufweisen, kann von gleichberechtigtem Lernen wohl keine Rede sein.

Deswegen meine ich ja, daß die Schule allein mit diesem Thema deutlich überfordert ist. Schon in den Grundschulen oder auch in den Kindertagesstätten wird ja probiert, die deutsche Sprache anzubieten. Aber schon dort werden die Grenzen sichtbar: Deutsch wird mit dem Erzieher gesprochen, untereinander jedoch nicht. Man erreicht da nur die Wenigsten.

Das klingt wenig verheißungsvoll.

Es mag hart klingen, aber wirkliche Integration ist zumindest in einigen Stadtteilen nicht passiert. Heute wüßte ich keine Maßnahme, die das nachholen könnte. Es gab in den USA den Versuch, Kinder mit Bussen auf verschiedene Schulen zu verteilen. Das halte ich in Berlin für undurchführbar. Die ganze Sachlage macht ein wenig hilflos.

Heißt das, daß es frustrierend ist, hier Lehrer zu sein?

Nein, Frustration ist nicht das richtige Wort dafür. Ich unterrichte das Fach Deutsch in allen Jahrgängen, und es ist mühsam. Man vermittelt Sprache, man möchte mit den Schülern auch mal schöne Bücher lesen. Wenn sie sich frei äußern können, merkt man sehr schnell, daß das ja keine dummen Kinder sind, die vor einem sitzen, sondern intelligente junge Menschen, die einfach nur ein Sprachproblem haben.

Was ist Ihr Ausblick in die Zukunft?

Die Situation ist schwierig, und wir versuchen damit umzugehen. Was Hoffnung macht, ist, daß die sozialen Kompetenzen bei den Kindern durchaus vorhanden sind. Die Sprache ist ein großes Problem, und damit ist alles weitere ein Problem. Um intensiv sprechen zu können, braucht man kleine Gruppen, also mehr Personal, vom Kindergarten an. Aber das kostet Geld, und das ist nicht vorhanden.

Interview: Thomas Gensheimer

 
 
 
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