Ausgabe 08 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Eine Stadt für die Wissenschaft

Konzentriert, aber ungemütlich: der Campus Adlershof

Seit 1998 verlagert die Humboldt-Universität ihre mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultäten in die „Stadt für Wissenschaft, Wirtschaft und Medien" in Adlershof. Vorausgegangen war die Entscheidung des Wissenschaftsrates, die Fachbereiche Biologie (2007), Chemie (2001), Geographie (2003), Informatik (1998), Mathematik (2000), Physik (2002) und Psychologie (2003) an einem Ort zu bündeln. Im Endstadium sollen rund 7000 Studierende, 120 Professoren und über 500 Mitarbeiter in Adlershof lernen und arbeiten.

Die räumliche Konzentration von Forschungseinrichtungen und Technologieunternehmen auf dem ehemaligen Flugplatz Johannisthal begann 1991. Politisches Ziel war der Aufbau einer High-Tech-Ansiedlung mit überregionaler Anziehungskraft. Die vorhandenen Institute der Akademie der Wissenschaften der DDR wurden ins Konzept integriert. Neben den HU-Einrichtungen existieren gegenwärtig zwölf außeruniversitäre Forschungsinstitute und rund 570 Unternehmen mit ca. 10000 Beschäftigten. Die Forschungs- und Tätigkeitsschwerpunkte konzentrieren sich vor allem auf die Schlüsseltechnologien Materialforschung, Photonik, Lasertechnik, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie Umweltforschung und Energietechnik.

Das Einzigartige an Adlershof sollte die Schaffung von Netzwerken, die Verkürzung von Innovationszyklen, das Hervorbringen von Synergieeffekten und die gemeinsame Nutzung aufwendiger Infrastrukturen sein. Hehre, wohlklingend formulierte Ziele, die auch im Interesse der Studierenden liegen. Aber die Umsetzung krankt bereits auf der Ebene der elementaren studentischen Infrastruktur in den Institutsgebäuden. Der studentische Mängelkatalog listet fehlende Gruppenarbeits-, Aufenthalts- und Fachschaftsräume auf und sagt ein heilloses Chaos bei der Koordination mit den Nebenfächern in Mitte und anderswo vor. Runde Tische im Vorfeld, die die geplante Infrastruktur in Adlershof vorbereiten sollten, fanden aus Sicht der Studenten viel zu selten statt.

Was die Zielvorstellung eines Netzwerks angeht, so haben sich die in die Wissenschaftsstadt gesetzten Hoffnungen teilweise erfüllt. So kommt dem Campus Adlershof eine wesentliche Bedeutung als Schnittstelle für alle gebietlichen Einrichtungen zu. Das Erwin Schrödinger Zentrum ist Sitz der Zentralbibliothek Naturwissenschaften mit rund 700000 Bänden gedruckter Literatur. Mit seinem Computer- und Medienservice ist es zugleich ein profunder digitaler Wissensspeicher. Aufgrund seiner eher ungemütlichen Aufenthaltsqualität und dem Mangel an potentiellen Treffpunkten wird das Zentrum allerdings um seine Akzeptanz als Kommunikationsort hart kämpfen müssen. Der im Vorfeld vielfach beschworene Austausch zwischen der wissenschaftsstädtischen Forschungsgemeinschaft findet kaum statt. Daran ändern auch die speziell eingerichteten S-Professuren nichts, die als Schnittstelle zwischen Uni und Privatwirtschaft gedacht waren.

Verstand alleine macht nicht satt, und Liebe geht durch den Magen. Die rund 2000 Studenten der Geographie und Psychologie, die im Wintersemester 2003 neu in die Wissenschaftsstadt kommen, sollten sich auf einiges gefaßt machen. Denn hier spielt der Senat die ganz große Politik nach. Im Spreebogen wurde mit dem Bürgerforum das Herzstück des Regierungsviertels kaputtgespart. Und auf dem Campus Adlershof wird es eben keine Mensa geben: Einsparvolumen ca. 10 Mio. Euro. Zwar wollen sich HU und der Gebietsentwickler, die WISTA-Management GmbH, beim Wissenschaftsrat für deren Bau einsetzen. Doch blicken Vertreter beider Seiten verhalten in die Zukunft. Irgendein Ersatz muß also her. Die provisorische Mensa des Studentenwerks stößt bereits an ihre Kapazitätsgrenzen. Während die WISTA die professionelle Sterilität der Wissenschaftsstadt nicht durch Imbißbuden oder dergleichen gefährdet sehen will, sondern ein leerstehendes Gebäude zur Aufnahme eines ewigen Provisoriums ins Auge faßt, scheint es, als ob die HU einer mit Leben erfüllten Provokation am öffentlichkeitswirksamen Standort nicht abgeneigt wäre. Wenn alles schiefgeht, werden die Studenten irgendwo herumstehend ihr Mittagessen einnehmen – auf den großzügig bemessenen Freiflächen im Campus fehlen offizielle Sitzgelegenheiten nahezu vollkommen.

Ob der Campus Adlershof den universitären Interessen gerecht werden wird, hängt davon ab, ob sich eine aktive Öffentlichkeit entwickeln kann. Im Mitteilungsblättchen Campus Adlershof stellte ein ernüchterter Student im November 2002 fest: „Die Zeit wird knapp. In einem Jahr ist zu sehen, ob die Wüste lebt." Mit Beginn des Wintersemesters 2003 ist festzuhalten: Der Campus Adlershof lebt durchaus, aber im Verborgenen. Etwa am Ende der Max-Born-Straße in Richtung Stadtpark. Dort, am Rande der Kommunikationswüste Adlershof, erstreckt sich eine idyllische Oase mit Freizeitangebot. Hier treffen und vernetzen sich die Wissenschaftsstädter, auf denen die hohen bildungspolitischen Erwartungen ruhen – und üben Golf.

Andi Seidel

 
 
 
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