Ausgabe 08 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

So schlimm kann Irland nicht sein

Der Krüppel von Inishmaan im Theater 89

Nirgends treffen Intrigen und Ranküne so wirkungsvoll wie in Käffern, wo jeder jeden kennt, man sich gleichzeitig mag und haßt und vor allem weg will von diesem trostlosen Ort. So ist es auch in Inishmaan, einem irischen Inseldörfchen Anfang der dreißiger Jahre. Das Zentrum besteht aus einem Laden, der ausschließlich Erbsendosen für 13 Cent feilbietet. Ansonsten gibt es nicht viel zu sehen auf der karg ausgestatteten Bühne des Theater 89: ein Regal, einen Ladentresen, Stühle, ein Boot und ein Bett. Viel Aufputz ist auch nicht vonnöten, um die Geschichte des Krüppel von Inishmaan zu erzählen. Die Menschen sind arm und kaufen noch nicht einmal die billigen Erbsen.

Die Ladenbesitzerinnen Kate und Eileen haben den Krüppel Billy nach dem Tod seiner Eltern aufgenommen. Diesen Tod umweht ein Geheimnis, das nicht einmal Billy kennt. Alle halten ihn für zumindest seltsam, denn er liest Bücher und starrt bisweilen Kühe auf der Weide an, um seinen dominanten Tanten für eine Weile zu entkommen ­ und der Beobachtung eines gewissen Johnnypateemike, der selbsternannten Nachrichtenzentrale der Insel, immer auf der Suche nach Sensationen, die er sich in Naturalien bezahlen läßt. Auch wenn es nur die Neuigkeit ist, daß eine Gans einem Hund in den Schwanz gebissen hat. Bis plötzlich die sensationelle Nachricht die Dorfbewohner erreicht, daß auf einer Nachbarinsel ein Hollywood-Film gedreht wird und noch Mitspieler gesucht werden. Schnell wird ein Boot organisiert, das die Dorfjugend, unter ihr auch Billy, dorthin bringen wird. Er wird als einziger nicht unverrichteter Dinge heimkehren, sondern mit nach Hollywood gehen, wo sein Typ als Krüppel gefragt sein könnte ...

Die Geschichte erscheint, kurz erzählt, selbst wie eine Hollywoodschmonzette. Das ist wohl Absicht. Es geht um Sehnsucht, Heimat, Rückkehr und ein wenig Liebe, die Grundstoffe beinahe jeden Melodrams. Zu Tränen gerührt wird der Zuschauer aber kaum in dieser Inszenierung von Hans Joachim Frank. Sie ist nun schon das dritte Stück des Autors Martin McDonagh, das das Theater 89 aufführt und das seine Premiere vor gut drei Monaten im brandenburgischen Niedergörsdorf feierte. Für ein Dorfstück der beste Rahmen. Und bestimmt hat man sich auch dort über das skurrile Figurenensemble amüsiert. Die durchwegs guten Schauspieler haben offensichtlich Spaß an den teilweise absurden Szenen. Zum Beispiel wenn Ladenfrau Kate einen Nonsensdialog mit dem halbwüchsigen Bartley über das Nichtvorhandensein spezieller Süßigkeiten in ihrem Laden führt oder wenn die trunksüchtige Mutter über ihren Sohn, die „Nachrichtenzentrale", herzieht. Diese kleinen Kostbarkeiten lassen einen leicht über die eher epische Breite der Aufführung hinwegsehen.

Man freut sich, nicht in so einem Kaff leben zu müssen, obwohl es neben Langweile auch Geborgenheit bietet. Denn der verlorene Sohn kehrt zurück, und sogar das grausige Geheimnis wird gelüftet. „So schlimm kann Irland also nicht sein". Dessen versichern sich die Dörfler über ihr Provinzdasein oft gegenseitig. Da ist wohl was dran.

Ingrid Beerbaum

> „Der Krüppel von Inishmaan" vom 2. bis zum 5. Oktober im Theater 89, Torstraße 216, Mitte. Weitere Aufführungstermine unter fon 2824656 oder www.theater89.de

 
 
 
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