Ausgabe 08 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Wahrzeichen der Verweigerung

Eine Ausstellung über Imbißbudenkultur

„Sie sind häßlich, schmutzig, stinken, die Gäste lärmen oft herum, und richtige Nahrung ist das ja alles nicht", so das offensichtlich anerkannte Gemeinurteil über Imbißbuden. Den solcherart Geschmähten hat das Museum Domäne Dahlem eine Ausstellung gewidmet: „Imbißbuden – Essen ohne Grenzen". Eine schöne Ergänzung bietet das anläßlich des Projekts entstandene, von Ausstellungskurator Jon von Wetzlar herausgegebene Buch Urbane Anarchisten und die in den Museumsräumen ebenfalls zu besichtigende Präsentation „Essen in Europa".

Die Ausstellung nähert sich dem Phänomen über künstlerische Inszenierungen, Kurzfilme, Fotografien, in Öl gemalte Frittenbudenbilder; das Buch tut dies vornehmlich über Fotos und Text. Ein Bogen wird geschlagen von Berliner Würstchenständen über asiatische Garküchen hin zu den je eigenen Besonderheiten der Imbißbudenkultur in Finnland, Rußland, Belgien. Die Ausstellungsmacher dokumentieren die Entstehung der Imbißbudenkultur zu Zeiten der Industrialisierung, wie auch ihre allmähliche, administrativ vorangetriebene Verdrängung aus dem Stadtbild heute, gerade im deindustrialisierten und von einem rabiaten Stadtumbau betroffenen Berlin.

Vor wenigen Monaten brach so ein erbitterter Streit um eine Würstchenbude vor dem Brandenburger Tor los: Die Bude sei eine Beleidigung der Würde und Bedeutung des Ortes, meinten die Hauseigner am Platz und Behörden unisono. Der Streit endete mit der Vertreibung des Budenbesitzers. Ein symptomatisches Beispiel für den Stadtbereinigungswahn im Sinne des „New Urbanism".

So ist die Imbißbude neben ihrer funktionalen Bestimmung als eines Ortes, an dem man schnell und billig essen kann, zum Wahrzeichen der Verweigerung geworden ­ gegenüber der städteplanerischen Verregelung wie den Geboten des kontrollierten Lebens: der clean and healthy-Doktrin modernen Seins. Die Mampf-Ecks, Asia-Snacks und Döner-Grills als Bastionen einer eigensinni-gen, anarchischen Schmuddelkultur (Wo sonst sieht man so wunderbare, provisorische Garstigkeiten in den aufgeräumten Stadtzentren, wo sonst kann man beim Essen so lustvoll rumsauen?), aber auch als eines Ortes des Unkalkulierbaren, an dem zusammenkommt, was anderswo in der Stadt nie aufeinandertrifft: etwa der arbeitslose Automechaniker und die Literaturprofessorin.

Sehr schön sind in der Ausstellung die Fotos von Petersburger Kiosken, die in ihrer schieren Merkwürdigkeit, ihrer beharrlichen Negierung des sogenannten guten Geschmacks und wegen des Eindrucks, sie seien aus der Zeit gefallen, die Berliner Imbisse noch übertreffen. In diesem Ausstellungsteil kann man auch das in seiner Reinheit überzeugendste, aus bitterer Lebenserfahrung gespeiste Plädoyer für die kleinen Buden nachlesen: „Nur der, der in eisigen Winternächten ohne Bier, Brot, Tabak, ohne Wodka erschüttert die Straßen durchirrte, kann ermessen, was der Kiosk für die Rettung der Menschheit bedeutet."

Gertrude Schildbach

> „Imbißbuden – Essen ohne Grenzen" noch bis zum 15. Dezember im Museum Domäne Dahlem, Königin-Luise-Str. 49, Zehlendorf. Geöffnet täglich außer Di 10 bis 18 Uhr, mittwochs freier Eintritt

> Jon von Wetzlar (Hg.) und Christoph Buckstegen (Fotos): Urbane Anarchisten. Die Kultur der Imbißbude. Jonas Verlag, Marburg 2003. 15 Euro

 
 
 
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