Ausgabe 08 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Kleinere Fische filmen

Leni Riefenstahl ­ ein Nachruf

Das desaströse Wirken der Leni Riefenstahl gipfelte am 8. September nach harmlosen Fisch-Filmen in Greenpeace-Ästhetik in einem sanften Entschlafen. Nach hundertundeins Jahren.

Keine Frage, Propagandafilme sind möglich, seit es das Medium Film gibt, weil Suggestion ein Grundstein der Filmästhetik ist. Nach Wittgenstein ist in der Sprache ­ hier ist es die Filmsprache ­ jede Aussage eine Funktion des Zwecks. L. R. war demnach filmsprachlich die einzige Nazi-Meisterin. Die Einzige dazu, der internationale Reputation ­ vor allem für ihr Nazi-Werk ­ bis an ihr Lebensende zuteil wurde.

Dem jeweiligen Regime genutzt und gleichzeitig neue Ausdrucksformen geschaffen hat nicht nur L.R. Auch John Ford schuf Tendenziöses mit seinem Propaganda-Meisterwerk They Were Expandable (1941). In der Hauptrolle besetzt mit John Wayne wird der Kriegseintritt der USA im Hollywoodstil gezeigt, gemixt mit Dokumentaraufnahmen. Ford (im Krieg auf einem Auge erblindet) verzichtet ­ im Gegensatz zu Riefenstahl ­ auf eine reingewaschene Oberfläche. Er stellt das Pathos, das Heroische immer neben das Menschliche. Die Charaktere zeigen Furcht und Schwächen. Der Krieg wird als ein schreckliches Schicksal beschrieben. Riefenstahls (zweiter) Reichsparteitagsfilm Triumph des Willens (1935) zeigt im krassen Gegensatz dazu Menschen, die agieren wie Roboter.

Bedenkt man, daß dies rein dokumentarische Bilder waren und daß L.R. gerade wegen dieses „unverfälschten" Charakters stolz darauf war, so jagt es einem Schauer über den Rücken. Bemerkenswert ist nicht die streng dynamische, formale Ästhetik (wie allerorten kolportiert), die ­ natürlich ­ an moderne Werbefilme und Videoclips erinnert. Das ist vordergründig. Vielmehr ergeben sich die Analogien zu Verkaufsfilmen aus der Ökonomie der Herstellung und der äußerst stringenten Plazierung des Produkts, hier also: der offensichtlich militanten Partei.

Ein anderer Propagandist, Sergej Eisenstein, hat mit seinen Filmen Panzerkreuzer Potemkin (1926) oder Iwan Grosny (Iwan der Schreckliche, 1944/45) ebenfalls seiner Lieblings-Partei gehuldigt. Er hat auch ­ wie Riefenstahl ­ filmsprachliche Innovationen hervorgebracht. Nur hatte er dabei immer etwas übrig für die Unterdrückten und Geknechteten. L.R. dagegen verfilmte untertänigst die Ideologie von Stärke und Unterwerfung. Für Verlierer hatte sie nur Verachtung übrig. Und nach dieser Logik sah sie auch später ihre alten Helden, die mächtigen G. und H., als Versager an.

Nein, ich glaube auch nicht an irgendeinen Sinn, den die darauffolgenden Olympiafilme (1938) noch hätten haben sollen, außer Unterhaltung nach dem Motto: Sport stählt Dich, Siegen ist schön, Macht ist geil, Kampf ist Sex, oder: Parteiabzeichen sind Mode. Ja, Hollywood ist demnach heute näher an der Riefenstahl dran als je zuvor. Merchandising über alles und das Pentagon als Filmförderungsanstalt. Wollte nicht Jodie Foster Lenis Biographie längst verfilmt haben? Gibt's Probleme bei den allzu dominanten Nebenrollen? Sicherlich war L.R. die letzten fünfzig Jahre weit verträglicher als die ersten; schließlich hatte sich ihre Band aufgelöst. Sortieren wir also ihre Speedmetal-Alben aus den dreißiger Jahren ins Fach „Blut und Mythen" und befriedigen damit unser historisches Verlangen. Petri Heil!

Jörg Gruneberg

 
 
 
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