Ausgabe 08 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Marktkonforme Alternativen?

Zum Kongreß der Globalisierungskritiker Fatal global?!

Die 5. WTO-Ministerkonferenz, die Mitte September im mexikanischen Cancún stattfand, ist zwar gescheitert. Doch die dort weitab von demokratischen Kontrollinstanzen verhandelten Themen stehen weiter zur Diskussion – und ebenso die Strategien der Kritiker.

Anläßlich der Konferenz von Cancún lud ein Bündnis von 26 globalisierungskritischen Organisationen, teils mit gewerkschaftlichem, umweltpolitischem oder kirchlichem Hintergrund, am 5. und 6. September zum Kongreß Fatal global?! in die TU-Berlin. Im Vordergrund standen die negativen Folgen der von der WTO vorangetriebenen Liberalisierung des Welthandels, der ungerechten Verhandlungspraxis innerhalb des Gremiums und der in Cancún vor allem von Seiten der EU angestrebten Erweiterung der Verhandlungsmasse u.a. um die Bereiche Investitions- und Wettbewerbsschutz. Darüber hinaus brillierten beim gemeinsamen Plenum die Repräsentanten der Veranstalter und die eingeladenen Gäste durchweg mit marktkonformen Alternativkonzepten.

Blickte man von den hinteren Reihen zum Podium, sprang schnell ins Auge, daß links von Attac, WEED, BUND, Germanwatch etc. wohl kein Platz mehr war. Die ca. 500 Kongreß-Teilnehmer dazwischen allerdings schienen, während sie beispielsweise der von Peter Wahl (WEED) pointiert und radikal vorgetragenen Kritik am Regelwerk der WTO viel Beifall zollten, die daraus abgeleiteten, kompromißlerisch anmutenden Forderungen aus dem Blickfeld zu verlieren. Obwohl diese wenig mehr als die Aufrechterhaltung des Status quo in den westlichen Wohlfahrtsstaaten zum Ziel hatten, glaubte das Publikum, weiter an der Revolution von morgen zu stricken.

Der Forderungskatalog der bei Fatal global?! vertretenen Organisationen erschöpft sich fast völlig im Ruf nach Abbau wirtschaftlicher Subventionen im Norden, der Möglichkeit einer teilweisen Abschottung vom Weltmarkt für Entwicklungsländer und der Einführung sozialer und ökologischer Schutzmechanismen. Wird hier das unrealistische Projekt verfochten, die wohlfahrtsstaatlichen Arrangements des „goldenen" Nachkriegszeitalters des Westens zu globalisieren? Ein schöner Gedanke. Seiner Verwirklichung steht allerdings ­ abgesehen von der Begrenztheit der Naturresourcen ­ das meist ausgeblendete Detail im Weg, daß der Wohlstand im Norden in den postkolonialen Strategien ökonomischer Ausplünderung des Südens gründet.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Rolle der Gewerkschaften ambivalent, die sich im Sinne ihrer Klientel zuallererst für den Erhalt sozialstaatlicher und arbeitsrechlicher Errungenschaften westlicher Industriestaaten einsetzen. Wenn bei Fatal global?! die Vertreter von ver.di, IG-Metall und DGB mit viel Verve auf die Aufnahme von Kernarbeitsnormen drängen, ist das eine schöne Sache. Aber indem man die verschärften Ausbeutungsverhältnisse im Süden durch arbeitsschutzrechtliche Minimalforderungen sanft eindämmt, verbessert man die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Arbeiterschaft in den entsprechenden Sektoren ­ zum Nachteil des Südens.

Einen kurzen Hinweis auf das widersprüchliche Verhalten der Gewerkschaften riskierte auf dem Podium nur Alfred Tacke, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium: Er wollte die Unmutsbekundungen aus dem Publikum abwehren, die er sich mit neoliberalen Standardparolen eingehandelt hatte.

Tackes Freihandels-Plädoyer verdeutlichte einmal mehr, wie inspirierend neoklassische Ökonomietheorie und neoliberale Ideologie auf sozialdemokratische und grüne Kreise wirken. Dem weltweiten sozialdarwinistischen Verdrängungswettbewerb, der derzeit von der WTO in ein sanktionsfähiges Regelwerk gepreßt wird, leisten sie mit ihrer Politik Vorschub. Die Liberalisierung wird dabei in immer neue Politik- und Lebensbereiche ausgedehnt. Selbst Bereiche wie Bildung, Gesundheit und Wasserversorgung werden zunehmend zu deregulierten Märkten ­ eine systematische Unterordnung sozialer und ökologischer Interessen unter die Gewinnmaximierungsstrategien privater Unternehmen. Vielleicht lag Marx mit seiner Einschätzung nicht falsch, daß im Mittelpunkt kapitalistischer Ökonomie die Kapitalakkumulation als Selbstzweck steht und der einzelne Mensch mit seinen sozialen Bedürfnissen zum bloßen Anhängsel der Ökonomie degradiert wird.

Über die unterschiedlichen Interessenlagen, Machtverhältnisse und Folgen der Handelsrunde von Cancún lieferten die Fatal global?!-Workshops zwar wichtige Informationen. Insgesamt dominierte jedoch eine Argumentationslinie, die die Funktionslogik kapitalistischer Märkte nicht grundsätzlich in Frage stellte. Können die auf den Podiumsdiskussionen vertretenen Positionen als repräsentativ gelten, dann wird die „andere Welt", die große Teile der zivilgesellschaftlichen Globalisierungskritiker zu fordern sich angewöhnt haben, so anders leider nicht sein: Nach der Einführung einiger Mindeststandards ließen sich der globalen Marktwirtschaft bei euphemistischem Sprachgebrauch möglicherweise die Attribute „sozial" und „ökologisch" anheften. Sie würde aber dennoch derselben irrationalen Funktionslogik gehorchen wie eh und je.

Margot Geiger

 
 
 
Ausgabe 08 - 2003 © scheinschlag 2003