Ausgabe 08 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

ditte & menschenkind

Unterwegs im Ehemaligen

Es gibt Legenden. Sie sind unten auf der Karte, neben der Karte angebracht oder sie stehen allein auf einem Holzbrettchen neben der Karte, wie in Kruge-Gersdorf. Die Legende neben der handgemalten Karte des Ortsteils Kruge, aufgestellt an der Kreuzung, wo es links zum Gamensee und rechts nach Heckelfeld geht, ist kaum an Lakonie zu übertreffen: „ehemalige Schnitterkasernen, ehemalige MTS-Station, ehemaliges Kulturhaus". Die Straßen zum „Kulthaus Kruge", wie es an der Landstraße auf der Bierwerbung steht, heißen Hauptstraße, Apfelallee, danach Triftstraße, Namen, die Flurlagen angeben. Ditte und Menschenkind landen vor dem Kulturhaus, das sie Bitterfeld Zwei taufen, und staunen. Wie die Mutter aller übrigen steht es da, ein Sammlerstück! „Fragt Erna, Erna hat hier gekocht!" raten ihnen die jungen Männer, die für eine „Geschlossene Gesellschaft" alles vorbereiten.

„Auf eine Art ist das überhaupt kein Hund, aber er bellt, wenn er Angst hat", ruft die klapperdürre Endachtzigerin aus ihrem Küchenfenster Ditte und Menschenkind zu, die, vom Recherchefieber gepackt, von den Jugendlichen im „Kulthaus Kruge" die Adresse erhalten haben.

Ditte kann ja mit Hunden, und deshalb stellt die Promenadenmischung sofort sein heiseres Gekläffe ein, als Ditte die Pforte öffnet und ihm über die Kruppe streift und dann die Flanken streichelt, während Menschenkind einen Bogen um den Struppigen macht. Menschenkind spricht lieber über den Hund an sich, als daß er ihn anfäßt, wie er sagt, anfaßt ist natürlich richtig.

Erna stellt gleich Kaffeetassen auf den Tisch, holt die Isokanne und plaziert resolut unser Paar an den pieksauberen Küchentisch. An der Wand hängen eine Menge Fotos von offenbar fidelen Feiern im ehemaligen Kulturhaus Kruge-Gersdorf, dem ersten überhaupt in der vierzigjährigen DDR-Geschichte.

„Ja, wir waren die ersten, und nun sind wir die letzten! Na, das soll ein Scherz sein. Wir sind aus Schlesien gekommen, mit dem Schwarzen unterm Fingernagel, und dann haben wir hier das Land gekriegt und die erste LPG der DDR gegründet. Nehmt Ihr Sahne in den Kaffee oder seid Ihr Sachsen? Dann kriegt Ihr Zucker dazu!"

Erna F. bindet sich die Schürze ab und setzt sich, Ditte gegenüber, neben Menschenkind, stößt ihm ihren Ellenbogen in die Seite und grinst ihn an. „Na, gib's schon zu, Du bist Sachse. Die hier rumgerannt sind und uns ausgefragt haben und dann in der NBI ganz was anderes unter unsere Bilder geschrieben haben, die waren alle aus Sachsen."

Derlei muß Menschenkind erst einmal verdauen. Er nimmt die Kaffeetasse hoch, betrachtet den Firmenstempel und stellt die Tasse wieder hin. „Ist kein Meißner Porzellan. So nun auch wieder nicht. Na, einen Kaffee kriegst Du trotzdem, Herr Reporter!"

Herumschwänzelnd und auf den Hinterbeinen tänzelnd, bettelt der Struppige Ditte um ein Stückchen Würfelzukker, das er auch prompt von ihr bekommt. „Du mit Deiner Affenliebe, Ditte! Haltung!" Nein, immer wieder das Gleiche, sogar Motten findet Ditte niedlich. „Auf die eine Art ist das überhaupt kein Hund!" wiederholt Erna ihre unter heftigem Kopfschütteln hervorgebrachte Erkenntnis, „aber ein guter Kumpel, wenn er keine Angst hat, und hat er ja auch nicht, wenigstens nicht vor Ihrer Frau, Herr Reporter!"

Irgendwie lächelt Ditte daraufhin etwas pikiert, was Menschenkind aus den Augenwinkeln heraus über den Tisch hinweg registriert. Leider kann er nicht noch einmal den Stempel der Kaffeetasse beäugen, schließlich hat Erna einen Moment, bevor sie die Sache mit der Frau zur Sprache brachte, Menschenkind Kaffee eingeschenkt. Obwohl sie eine kokette Abscheu gegen Reporter zur Schau stellt, bedient sie den Herrn am Tisch doch zuerst.

„War 'ne schöne Zeit damals, Tag der Republik und so, ist aber auch schön, daß es vorbei ist. Nicht Kolja?" Schwanzwedelnd legt sich Kolja zu seiner Herrin Füßen nieder. „Was haben wir gesoffen und so ..." „Und was macht Ihr heute?" mischt sich Ditte in den beginnenden Monolog ein. „Na ja, Saufen und so!"

Brigitte Struzyk/Dieter Kerschek

 
 
 
Ausgabe 08 - 2003 © scheinschlag 2003