Ausgabe 08 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Gut sortiert

In Deutschland muß mehr Geld für Bildung ausgegeben werden, um der Wirtschaft auf die Füße zu helfen, war das Fazit der kürzlich veröffentlichten OECD- Studie. Die deutschen Bildungsausgaben liegen – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – 0,4 Prozent unter dem Durchschnitt der westlichen Industriestaaten. Von einem Mangel an Hochschulabsolventen war gar die Rede. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft und die Studentenvertreter wußten das schon immer. Dennoch wird von dieser Seite hoffentlich kein „Siehst Du!" zu vernehmen sein. Denn nur etwas mehr Geld und Studienplätze werden nicht reichen, um die Hochschulen im Sinne der Betroffenen zu reformieren.

Daß „die Wirtschaft" gerne viele akademisch qualifizierte Arbeitskräfte hätte, um von diesen vielen einige wenige einzusetzen, ist wenig überraschend: Je größer das Angebot, desto billiger das Produkt. Der aussortierte Rest ist durch die Optimierung sogenannter Sekundärtugenden im Studium ­ wie Redegewandtheit, angenehme Schreibe und Umgang mit Overhead-Projektoren ­ immer noch als Call-Center-Agent, Weiterbilder oder ehrenamtlicher Eventmanager zu gebrauchen. Die Angleichung der europäischen Hochschulen, die Vereinfachung der Studienordnungen und die angestrebte individuelle Betreuung führen außerdem zugleich dazu, die derzeit undurchschaubare Bürokratie abzubauen, die die Studenten bisher immerhin ausreichend für die optimale Ausnutzung der Arbeits- und Sozialämter qualifizierte. Damit könnte jetzt endlich Schluß sein: Wer schon zügig ein Studium nach dem Vorbild eines Provinzgymnasiums absolviert hat, wird sich vermutlich auch danach noch willfährig in unsinnige Kurse schicken lassen, um die Arbeitslosenstatistiken zu bereinigen.

Die Verschönerung der Statistiken scheint auch das Leitprinzip der derzeitigen Hochschulreform zu sein: Die Langzeitstudenten und Studienabbrecher müssen weniger werden. Damit trifft man gerade diejenigen, die schon während der akademischen Ausbildung mittels McJobs das Bruttosozialprodukt anhoben, und diejenigen, die einsahen, daß ein frühzeitig ausgebauter Nebenjob mehr Zukunft birgt als ein Abschluß in Finnischer Frühgeschichte. Erwerbsarbeit neben dem Studium wird zukünftig kaum mehr möglich sein. Wer heute noch unbehelligt von Disziplinarmaßnahmen sich bilden will, sollte schon reiche Eltern haben. Insofern ist es nur konsequent, wenn Krista Sager von den Grünen vorschlägt, eine erhöhte Erbschaftssteuer für den Ausbau der Bildungsinstitutionen zu nutzen. Das Geld wird weiterhin den reichen Söhnen und Töchtern zugute kommen.

Auch die ab 2005 geplante flächendeckende Einführung des Bachelor- und Masterabschlusses, also die Gliederung des Studiums in ein zwei- und ein dreijähriges, aufeinander aufbauendes Studienprogramm, scheint nur vordergründig vorteilhaft für die Studenten. Der Bachelor steht dann für eine solide fachspezifische Grundbildung, die die Betroffenen noch nicht vollends für den Arbeitsmarkt verdirbt, der Master für eine gelehrte Spezialisierung mit immerhin minimaler Chance auf eine akademische Karriere, wenn man anschlie-ßend noch das eventuell kostenpflichtige Postgraduiertenstudium antreten darf. Zwar wird den Absolventen durch diese Zweiteilung ermöglicht, auch vor dem Diplom oder Magister mit Anstand die Uni zu verlassen, die Aufsplitterung führt aber ­ insbesondere im Zusammenspiel mit der Verschlankung des Lehrkörpers ­ zu erheblich weniger Wahlmöglichkeiten, einer Kanonisierung der Inhalte und nicht zuletzt dazu, daß Studenten ihre Zeit noch weniger selbständig einteilen können: Schließlich wird ihnen zunehmend von Bürokraten, Fachidioten und weltfremden Professoren gesagt, welche Inhalte und Techniken sie sich in welcher Reihenfolge anzueignen haben. Und wer nicht täglich morgens um 8 Uhr zur Lehrveranstaltung antritt, gilt schlicht als faul. Daß auch Studenten mal Wichtigeres vorhaben, ist den Lehrenden nur schwer beizubringen.

Die derzeit diskutierte Einführung von sogenannten Studienkonten, von denen der Universitätskunde nach und nach die „Credits" für abgesessene Semester und einzelne Lehrveranstaltungen abbuchen darf, bis sie eben aufgebraucht sind, könnte aber immerhin noch ein paar Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor schaffen: die Uni-Kontrolleure, die ein erhöhtes Entgelt bei „Lehrerschleichung" abkassieren.

Susann Sax

 
 
 
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