Ausgabe 07 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Landminen lähmen die Landgewinnung

Die abriebfesten Fiktionen Walter Abishs

-Mama, was ist das, die Sprache?

-Die Sprache ist das Haus, in dem der Mensch wohnt.

(Dialog aus Jean-Luc Godards Film Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß, 1966)

Ausgangspunkt Angola. Zeit: 1974. Der erste Roman von Walter Abish erscheint zeitgleich mit dem ersten erfolgreichen angolanischen Unabhängigkeitskampf. Er beginnt mit den 120 Stämmen der Bantu, die einem portugiesischen Kaffeeproduzenten, dem viertgrößten der Welt, gehörten, bevor die Probleme mit den zehn Millionen Landminen die Landwirtschaft lähmten und das ZK die Volksrepublik ausrief. Alphabetisches Afrika ist eine Polit Farce, deren Rezeption erschwert wird durch ihr kalt durchstrukturiertes, experimentelles Gewand. Das obige Zitat steht für die Methoden Abishs, die in Struktur und Ausrichtung sehr der Godards ähneln und die damit ähnliche Angiffsziele im semiotischen Häuserkampf bieten. Abish leitete mehrere seiner Bücher mit Zitaten aus Godards Filmen ein, z.B. Quer durch das große Nichts (Erzählungen 1975-77) und Wie deutsch ist es (1979). Ein literarisches Zusammentreffen der beiden Charaktere entnehme ich der Erzählung „Dies ist kein Film, dies ist ein klarer Akt des Zweifels" aus dem Band Das ist kein Zufall (Erzählungen 1971-75). Godard, dem das Pseudonym Michel Bontemps zufällt, agiert darin als verstiegener französischer Film-Autor, der eine amerikanische Kleinstadt mieten will, sie gar durch Rodungen seinem Oberflächenideal anzupassen plant. Im Gegenzug will der Bürgermeister lediglich über ihn erfahren, ob er noch Marxist ist. Und der Erzähler antwortet vorsichtig, daß er recht viel Farbe auf der Leinwand verwendet. Das hat Godard in seinen ersten Kodachrome-Werken ausgiebig getan, u.a. strich er Teile der Ausstattung extra leuchtend an.

Abish greift ähnlich mutig in den Farbtopf, wenn er Bilder schillern lassen will. In Alphabetisches Afrika sieht man neben einem afrikanischen Staatschef, der sein Land gleich der Abbildung im Schulatlas orange anstreichen läßt, den Hauptakteur, einen amerikanischen Autor, durch Strandbombardements der US-Air-Force und Ameisen auf der einen, sowie Abendessen mit Bischöfen, Bankiers, Architekten, Archäologen und Anthropologen auf der anderen Seite, stapfen ­ immer in der Gefahr, von seiner Gier nach den sexuellen Reizen Alvas, oder von einer Landmine beim nächtlichen Strandspaziergang zerrissen zu werden. Ein Juwelendiebstahl und skrupellose Killer werden als Glanzlichter auf die Blutspur drapiert. Den Poeten muß man dabei selber spielen.

Die Sätze baut Abish in alphabetischer Reihenfolge. Das erste Kapitel enthält überwiegend Wörter mit dem Anfangsbuchstaben A, dann additiv – A+B, A+B+C, etc. – bis Z und von da aus subtraktiv wieder zurück bis A. Die Erzählung wird dadurch weder am Anfang und am Ende geheimnisvoller, noch in der Mitte transparenter. Der Materialfluß spült jedoch unzählige Details ins Bewußtsein, wie jenen Arnikaduft, der die angolanischen Ebenen durchzieht. Die Einstufung „Experimenteller Roman" dient meist als Diskreditierung hehrer Absichten, die hier darin gründen könnten, das Geschehen angreifbarer zu machen, Sprache banaler zu zeigen, Geschichten als das zu nehmen, was sie auch sind, nämlich mündliche Grundrisse objektiver Begebenheiten.

Immer auf der Suche nach einem (er)klärenden Wort verfalle ich als Leser, einem ungeheuer angenehmen, großzügigen Denken. Der Übersetzer Jürg Laederach hat das offenbar ähnlich begriffen. Daß er dazu noch in der Lage war, stilistisch umzubauen, zu rekonstruieren, quasi den Bauplan zu kopieren, läßt ihn fast manisch erscheinen. „Den Stadtplan betrachten heißt, tief ins Gehirn hineinblicken", schreibt Abish in seiner Erzählung „In so vielen Wörtern". Er erweitert den linearen Aufbau vieler seiner Texte, indem er Verbindungen zerschneidet und ganze Passagen umschichtet, verschachtelt. Ob er fremde Texte sampelt, wie in 99, der neue Sinn (1990), oder – wie hier – in fremde Länder reist, eingreift, ordnet, er bleibt ein Verteiler authentischer Zeichen, die fest mit der Welt verbunden sind. Ein mehr oder weniger experimenteller Erzählstil ist bei ihm nie Gradmesser für Originalität gewesen. So ist sein konventionell lesbarer Roman Sonnenfieber (1993) ein Höhepunkt seiner akkupunktur-existenziellen Geschichten. Alle Details und Fakten, auf die es Abish abgesehen hat, ordnet er nadelstichartig über eine Textfläche an. Er läßt stets das Fremde in der Fiktion dem ähnlicher erscheinen, als das es sich uns in der Realität wohl ohnehin präsentiert hätte.

„Ghanaer glauben fälschlicherweise fest, deutsche Gestik begehre Fluten aufzuhalten, Eidechsen einzukochen, Afrikanern Gehörschäden anzuzaubern, doch die deutschen Gesten bleiben gesamthaft eitel. Abgesehen davon, dass das enorm Clowneske dabei durchdringt", heißt es zu Beginn seines zurecht wiederveröffentlichten Romans. Ein exotisches Afrika weicht darin etwas anderem. Dieses unbeschreibliche Andere durchdringt die westliche Sprache, die sich darüber aufbläht, kolonial träumt und wieder Luft ablassen muß.

Jörg Gruneberg

> Walter Abish: Alphabetisches Afrika. Amerikanisch und Deutsch, übersetzt von Jürg Laederach. Urs Engeler, Basel 2002. 27 Euro

 
 
 
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