Ausgabe 07 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Kurzkultur

verfilmen

Verfilmungen von Literatur haben es schwer, ihren Vorlagen gerecht zu werden. Man kann ihre Sinnhaftigkeit auch ganz in Frage stellen. Notgedrungen nehmen Regisseure oft grobe Veränderungen vor, die Hardcore-Literaten gar nicht schmecken, vereinfachen die Handlung. Dennoch gibt es viel „Literatur auf Celluloid", von der im Filmprogramm des „3. internationalen literaturfestivals berlin" einige seltene Perlen zu sehen sind. Neben Werken aus Neuseeland, Israel und Griechenland werden in einer indischen Nacht Produktionen jenseits von Bollywood gezeigt. Ein weiterer Schwerpunkt gilt lange verschollenen Literaturverfilmungen des DDR-Fernsehens, wie Der kleine Prinz (1966) von Konrad Wolf und Joachim Kunerts Aufzeichnungen eines Unerwünschten (1975) nach den Aufzeichnungen von Günter Wallraff.

> „Literatur auf Celluloid", vom 12. bis 21. September im Filmkunsthaus Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, Mitte, und im Kino Broadway, Tauentzienstr. 8, Charlottenburg

vereinen

Die Welt, in der wir leben, geht den Bach runter. Der Amsterdamer Comic-Künstler Willem Verburg zeigt mit seinen knallbunten, poppigen Collagen, daß das Leben in einer genmanipulierten Welt aber nicht zwangsläufig trübe und spaßfrei sein muß. Seine auf rauhe Zaunbretter (engl. fence=Zaun) gesprayten, gemalten und geklebten Assemblagen, die Ikonen des Medienalltags, Textfragmente und Verburgs eigene bizarre Comicgestalten vereinen, versuchen mit einer gewollt kindlich-naiven Geste den Blick auf unser unglaubliches, gefährdetes und dennoch wundervolles Leben zu beeinflussen. Das Anliegen von THE FENCE ist vor allem defence, das Sich-Schützen vor einer durch die Medien entworfenen, festgezurrten Scheinwelt. Gleichzeitig zeigt Willem Verburg Comics und Siebdrucke in der Comicbibliothek Bei Renate.

> Willem Verburg THE FENCE, noch bis zum 20. September in der Galerie Robert Keller, Torstr.170, Mitte, Di - Sa 12-20 Uhr

> Comicbibliothek Bei Renate, Tucholskystr.32, Mitte, Mo-Do 14-20 Uhr, Fr 14-19 Uhr, Sa 13-18 Uhr

verscherbeln

Dort, wo vor '89 die Werke der ostdeutschen Filmproduktion unter Ausschluß der Öffentlichkeit gesichtet wurden, zeigte der Progress-Filmverleih jahrelang die von ihm verwalteten Defa-Filme. Dabei auch einige, die zuvor nicht die Zensur passierten. Jetzt wurde das Haus, in dem die Börse untergebracht war, wegen zu erwartender hoher Sanierungskosten von der Defa-Stiftung an einen Investor verkauft, der an der Rückseite des Hackeschen Marktes noch ein paar Büros und Boutiquen einzurichten plant. Dennoch werden wir auch weiterhin nicht auf Die Spur der Steine oder Paul und Paula mit engl. UT verzichten müssen. In Zukunft geht der Progress-Filmverleih, dessen Büros bereits im Hof des Blow Up eine neue Heimat gefunden haben, eben auf Reisen und verstärkt die Kooperation mit anderen Kinos.

> Die Börse zeigt noch bis Ende September seine beliebtesten ostdeutschen und russischen Filme. Täglich um 20 Uhr, Burgstr. 27, Mitte, fon 24003500

> Vom 25. September bis zum 1. Oktober bespielt der Progress-Fimverleih das Blow up, Immanuelkirchstr. 14, Prenzlauer Berg, fon 4428662, www.KinoBlowUp.de

versprechen

Wenn vom Wedding die Rede ist, fällt nur selten das Wort Kultur. Immer noch hält sich das Klischee von 24-Stunden-Bierschwemmen und sozialer Tristesse an. Zu Unrecht, denn immer mehr KünstlerInnen nehmen diesen besonderen Stadtteil als Wirkungsstätte an. „Der Wedding kommt anders" heißt der „KultourPlan" der bis zum 21. September nicht weniger als 60 Veranstaltungen an 34 Orten ankündigt. Lesungen und Vernissagen im Café Cralle, diverse Ausstellungen in Schraders Lounge und der Kolonie Wedding oder die immer donnerstags stattfindende Brauseboys@Laine Art-Lesebühne mit angeschlossener Dusche, zeigen, daß sich zwischen Müllerstraße und dem Gesundbrunnen mehr bewegt als Vokuhilas in Jogginganzügen.

> Der KulTourplan Wedding ist in den Stadtteil-Bibliotheken in Mitte und bei den Weddinger Quartiersmanagements erhältlich.
Weitere Informationen: fon 4930100

verteilen

Das Kulturamt Mitte vergibt wieder auf Empfehlung des Beirates für dezentrale Kulturarbeit Fördergelder für Kulturprojekte aller Sparten an freie Gruppen. Die Höchstantragssumme beträgt 2500 Euro. Die Anträge für Projekte, die zwischen dem 28. September und Jahresende stattfinden bzw. begonnen haben müssen, sind bis zum 12. September in 15-facher Ausfertigung einzureichen. Noch bis zum 11. September können sich Antragsteller im Kulturbüro Mitte beraten lassen. Gern gesehen sind Projekte, die im Bereich Kinder- und Jugenkulturarbeit sowie interkulturelle Arbeit angesiedelt sind.

> Informationen und Antragsformulare bei Dolly Leupold/Kulturbüro Mitte, Auguststr. 21, fon 28884442, www.kulturamt-mitte.de

versterben

Es lebe der Zentralfriedhof: Friedhöfe sind Orte der Ruhe ­ für Tote ebenso wie für die, die noch leben. Daß die Begräbnisstätten auch Lebensräume für Pflanzen und Tiere ­ keineswegs nur für Würmer ­ sind, Erinnerungsstätten und noch vieles mehr, darauf wollen die Friedhofsverwaltungen nun nachdrücklich hinweisen. Auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde findet am 21. September ein „Tag des Friedhofs" statt ­ mit Musik, Kinderbelustigung, Führungen und einer evangelischen Andacht.

> „Tag des Friedhofs", am 21. September von 10 bis 17 Uhr auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde, Gudrunstr. 20, Lichtenberg

adorno

Der 11. September, er ist doch in erster Linie der Geburtstag von Theodor W. Adorno. Der jährt sich nun zum 100. Mal. Der Sohn einer Sängerin war bestimmt einer der bedeutendsten Figuren der jüngeren deutschen Philosophiegeschichte, mit Sicherheit aber die einzige wirklich schillernde und faszinierende. Adorno war aber auch ein bedeutender Komponist in der Nachfolge der Schönberg-Schule, war sogar Kompositionsschüler von Alban Berg. Daß dieser Teil seines Schaffens so wenig bekannt ist, liegt nicht zuletzt an seiner eigenen Skrupelhaftigkeit. Dazu, nach seiner Emeritierung das Komponieren wieder aufzunehmen, ist Adorno nicht mehr gekommen. Das Konzert des Leipziger Streichquartetts ist eine seltene Gelegenheit, seine Stücke zu hören.

> Das Leipziger Streichquartett mit Werken von Adorno, Berg, Webern und Beethoven am 11. September um 20 Uhr im Kleinen Saal des Konzerthauses am Gendarmenmarkt, Mitte

 
 
 
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