Ausgabe 07 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Renaissance des Operaismus

Nach 100 Monaten Pause erschien im Juli die 66. Ausgabe der Wildcat

Als im März 1995 in dem linken Fachblatt für weltweite Klassenkämpfe Wildcat ein Artikel über die Geschichte des italienischen Operaismus erschien, ahnte niemand, daß es bis zum Juli 2003 dauern würde, bis man den zweiten Teil der Trilogie lesen konnte. Die 100 Monate dazwischen gab es keine Wildcat – jetzt gibt es sie wieder.

Entstanden ist die Wildcat Anfang der achtziger Jahre aus der Karlsruher Stadtzeitung, die erstmals im „Deutschen Herbst" 1977 erschien und sich seit 1979 als Teil der gerade entstehenden „Jobberbewegung" schwerpunktmäßig mit Arbeit und dem Kampf dagegen befaßte. Für viele junge Leute war es damals undenkbar, sich in der Lohnarbeit einzurichten und bis zur Rente an ein und demselben Arbeitsplatz zu ackern. Stattdessen nahmen sie gelegentlich für kurze Zeit irgendeinen Scheißjob an und erholten sich davon zwischendurch mit Hilfe des Arbeitsamts. Um diese verbreitete Haltung in einen revolutionären Prozeß zu überführen, bildeten sich Jobbergruppen. Die Karlsruher Gruppe griff dabei auf theoretische Diskussionen italienischer Operaisten in den siebziger Jahren zurück, wonach die „Figur" des Jobbers aufgrund ihrer Ablehnung der Arbeit und ihrer Beweglichkeit überhaupt nicht mehr anfällig für die geringste Kumpanei mit dem Unternehmerinteresse sei, deshalb drastischere Kampfformen wie Sabotage oder wilde Streiks praktiziere und somit Motor im Klassenkampf sei. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht, hauptsächlich deshalb, weil die Jobber eine Minderheit blieben und meist nur individuell die Arbeit verweigerten.

Deshalb begann man zu untersuchen, was die anderen Arbeiter wollen, wie sie sich verhalten, welche offenen oder verdeckten Kämpfe es gibt und dergleichen mehr. Die Idee dazu fand man bei den frühen Operaisten rund um die 1961 zum ersten Mal erschienene Turiner Zeitschrift Quaderni Rossi, die hauptsächlich aus der Kommunistischen und der Sozialistischen Partei Italiens stammten und sich nach der Niederschlagung des Budapester Aufstands 1956 vom „Staatssozialismus" abwandten und ihn als „Staatskapitalismus" analysierten. Im Unterschied zum orthodoxen Marxismus, der die Arbeiterklasse als monolithischen Block sah, interessierte die Operaisten die „Klassenzusammensetzung", die zunächst untersucht werden müsse, um überhaupt für die Arbeiterseite Partei ergreifen zu können. Toni Negri, der damals bei den Quaderni Rossi mitwirkte, wird in der aktuellen Ausgabe denn auch von der Wildcat unter anderem dafür kritisiert, daß er sich vom Konzept „Klassenzusammensetzung" verabschiedet hat, daß er in Empire mit der „Multitude" einfach ein beliebiges „revolutionäres Subjekt" konstruiert, statt vorher eine Untersuchung durchzuführen: „An die Stelle der Analyse setzt er den Glauben."

Den Zusammenbruch des Ostblocks nahm die Wildcat anfangs sehr optimistisch auf. Das lag einerseits daran, daß sich Ende der achtziger Jahre in Westdeutschland einige vielversprechende Bewegungen an den Gewerkschaften vorbei entwickelten und es andererseits in den DDR-Betrieben zu Massendiskussionen über eine Perspektive jenseits von Kapitalismus und Sozialismus à la DDR kam. Dieser Optimismus ließ sich angesichts der ab 1993 auch in Deutschland einsetzenden Wirtschaftskrise und der damit verbundenen Hinnahme sozialer Verschlechterungen auf breiter Front nicht ewig aufrechterhalten. Die klassisch operaistische These, die Arbeiter würden die Krise durch ihre Kämpfe produzieren, wirkte zunehmend hohl, schließlich gab es Mitte der neunziger Jahre, wenn überhaupt, nur defensive Kämpfe ­ bis hin zum Betteln um Arbeitsplätze. In dieser Situation beschloß die Redaktion 1995, das Erscheinen der Zeitung vorläufig einzustellen und zunächst einmal ihre theoretischen Grundlagen zu überprüfen und neu zu entwickeln.

Dazu diente das Wildcat-Zirkular, daß von Februar 1994 bis Februar diesen Jahres in einer kleinen, eher für eine interne Diskussion gedachten Auflage insgesamt 65 mal erschien und so für eine gewisse Kontinuität sorgte. Nach 100 Monaten in Klausur fühlt man sich nun offenbar wieder fit, um mit einer größeren Auflage erneut in die Offensive zu gehen. Immerhin gibt es seit den Protesten gegen den WTO-Gipfel in Seattle 1999 auch in der deutschen Linken wieder ein stärkeres Interesse an sozialrevolutionären Ansätzen und damit auch einen Diskussionsbedarf. In diese Debatten will sich die Wildcat wieder verstärkt einmischen. Die Zeitschrift wird dazu künftig vierteljährlich erscheinen, außerdem soll es daneben eine Reihe von Veranstaltungen geben.

Neben der Fortsetzung der Geschichte des Operaismus finden sich im aktuellen Heft ein ganzer Komplex zum Irak-Krieg mit Texten zur weltweiten Friedensbewegung, zur Situation in den USA und in der Golfregion sowie zur Rolle Europas. Ein weiterer Schwerpunkt befaßt sich mit der Situation in Argentinien, wo eine Reihe von Fabriken besetzt war und es zum Teil noch sind. Selbstverständlich gibt es auch Artikel zum Umbau der Sozialsysteme in Deutschland und anderen Ländern Europas. Während sich in Frankreich, Italien und selbst in Österreich bereits Widerstand regt, ist es in Deutschland noch ruhig. Aber soweit bekannt, ist auch den Deutschen kein Anti-Kampf-Gen eingepflanzt worden.

Søren Jansen

> Preis: 3 Euro, 8 Exemplare 10 Euro.

Kontakt: Shiraz e. V.,

Postfach 301206, 50782 Köln.

Internet-Ausgabe:

www.wildcat-www.de

 
 
 
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