Ausgabe 07 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Eine Wohnung ist, wo man wohnt

Über 120 besetzte Häuser soll es 1990 in Berlin gegeben haben. Wenige Jahre später waren es nur noch eine Handvoll. Im Juli 1997 ließ der damalige Innensenator Jörg Schönbohm drei der letzten räumen, unter ihnen die Rigaer Straße 80. Rechtliche Schritte hielten weder der Eigentümer noch Schönbohm für nötig – es galt die harte „Berliner Linie", nach der alle Hausbesetzungen sofort zu beenden sind.

Fünf Jahre später sorgt die Rigaer 80 für Ärger. Ein nachtragender Bewohner hatte geklagt und gewonnen: Am 16. Juli urteilte das Verwaltungsgericht, daß die damalige Räumung rechtswidrig war. Zur Begründung verwiesen die Richter auf Artikel 13 des Grundgesetzes, der die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert. Eine Wohnung, so die Richter, ist dort, wo man wohnt. „Es kommt nicht darauf an, ob das illegal oder legal geschieht", betont Rechtsanwalt Gerhard Fuchs. Wenn die Polizei sich Eintritt verschafft, gilt das als Durchsuchung, die nur bei „Gefahr im Verzug" erlaubt ist ­ oder einer richterlichen Anordnung bedarf, die schwierig zu bekommen ist.

Künftig muß sich die Polizei also mit umständlichen juristischen Vorspielen quälen, bevor sie einem Spekulanten seine Immobilie freiräumt. Schönbohms heutiger Nachfolger auf dem Posten des Innensenators, Ehrhart Körting, zeigt sich dennoch gelassen. Bisher ist nicht einmal sicher, ob seine Behörde in Berufung geht. Wozu? Schließlich gibt es keine besetzten Häuser mehr.

Aber auch heute lebt nicht ganz Berlin in soliden Wohnverhältnissen; umstrittene Räumungen kommen immer noch vor. „Für die Wagenburgen ist das Urteil ein schweres Pfund", meint Fuchs. Wenn die Rollis dort regelmäßig übernachten, mithin ihren „Lebensmittelpunkt" im Wagendorf haben, sind ihre Wohnungen durch Artikel 13 geschützt. Selbst die Hütte, die sich ein Obdachloser unter der Brücke bastelt, hat von nun an als seine Wohnung zu gelten; seine Vertreibung hätte zunächst einmal die Gerichte zu beschäftigen.

Auch bei klassischen Hausbesetzungen könnte sich das Urteil als hilfreich erweisen. Zwar wird eine eben erst besetzte Wohnung vor Gericht kaum als Lebensmittelpunkt durchgehen. Wenn schnell genug geräumt wird, hat Körting also kein Problem. Aber etwas Spielraum ist vorhanden. Fuchs: „Spannend wird es, wenn eine Besetzung heimlich geschieht."

jt

 
 
 
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