Ausgabe 06 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Trink ma noch a Glaserl Wein

Kein Bier am Rüdesheimer Platz: Trinkkultur einmal anders

Nein, Berlin eine Weinstadt zu nennen, wäre sicher unangemessen. Traditionell herrscht hier der Gerstensaft. Schon beinah trotzig wirkt es da, wenn dennoch Jahr für Jahr aufs Neue verkündet wird, daß es auf zwei kleinen Flächen – zum einen im Viktoriapark in Kreuzberg, zum anderen am Dammweg in Neukölln – wieder einmal eine eigene Weinlese gegeben habe. Das Ergebnis ist in der Regel allerdings von einer aparten Säuerlichkeit und reicht ohnehin nur für ein paar Flaschen, die dann von den Bezirkshonoratioren zu besonderen Anlässen kredenzt werden.

Also sind wir weiterhin auf den Import eines guten Tropfens angewiesen. So wie er Berlin z.B. nun schon seit einigen Jahren in Form des Rheingauer Weinbrunnens beschert wird. Auf einem der schönsten Plätze des bürgerlichen Berlin gibt es auch in diesem Jahr wieder einen Bier-, pardon: Weingarten. Drei verschiedene Weingüter aus dem Rheingau präsentieren auf dem Hochplateau des Rüdesheimer Platzes in Schmargendorf noch bis zum 7. September nacheinander ihre Erzeugnisse. Feilgeboten werden rund ein Dutzend Weine jeglichen Geschmacks, dazu einige Sektsorten, sowie Wein- und Apfelschorle und Mineralwasser. Bier sucht man dagegen vergebens, und danach zu fragen, sollte man sich auch hüten; könnte doch diese Unverfrorenheit dazu führen, sich im benachbarten „Rheinbrunnen" wiederzufinden.

Überhaupt dieser Brunnen: eine kolossale Anlage von Emil Cauer d. J., im Jahre 1911 geschaffen. Acht Wasserspeier ergießen sich in ein 30 m breites Becken, in dessen Mitte sich auf einem mächtigen Felsaufbau die nackte Gestalt Jung-Siegfrieds emporreckt. Jeweils auf der rechten und linken Seite des Brunnens symbolisieren zwei weibliche Figuren die Flüsse Rhein und Nahe. Mancher Besucher wünschte sich vielleicht, der Wein möge direkt aus den Wasserspeiern fließen, damit man nur noch einfach wie im Kurbad mit seinem Becher daherkommen müsse, um ihn mit dem kostbaren Naß zu füllen. Aber so weit sind die Organisatoren dann doch nicht gegangen. Wohl, weil bei allzu großer Hitze der Brunnen auch immer wieder gern von Kleinkindern zum Plantschen benutzt wird. Und während ein Bierbad mittlerweile sogar in manchem Hotel als Wellness-Angebot offeriert wird, ist dagegen die Wirkung von Weinbädern bislang noch nicht hinlänglich erforscht.

Also heißt es, sich am Ausschank anstellen. Die Preise sind moderat (2,50 bis 3,70 Euro für 0,2 l, bei besonders edlen Sorten gibt's aber auch mal nur 0,1 l für den gleichen Preis), und geöffnet ist täglich ab 16 Uhr. Der Feierabendschoppen ist somit gesichert, und wer dann allzu tief ins Glas schaut und so klingende Namen wie „Mittelheimer Edelmann" oder „Winkeler Hasensprung" nicht mehr locker über die Zunge kriegt, der braucht bei der nächsten Order nur eine Zahl zu nennen, denn jeder Wein auf der Karte ist numeriert. Aber Wein sollte es schon sein; der Verzehr mitgebrachter Getränke ist nicht erlaubt. Beim Essen hingegen ist man viel großzügiger. Die Besucher werden lediglich gebeten, „die Reste Ihrer kulinarischen Köstlichkeiten wieder mitzunehmen". Ansonsten kann hier jeder mitbringen, was er mag. An einem Donnerstag Abend hatte dies auch gleich ein Damenkränzchen dazu bewogen, ihr großes Picknick hier zu veranstalten, so daß der Tisch sich förmlich unter diversen Salatschüsseln bog. Aber nicht nur die Wilmersdorfer Witwen schlürfen hier ihren Wein, es treffen sich auch Familien, verliebte Pärchen und Geschäftsleute. Unter den alten Bäumen ist gut genießen, und am Abend sorgen Lichterketten in den Ästen für eine angenehme Illumination.

„Trink ma noch a Glaserl Wein" ­ ja, das sei schon in Ordnung, wenn der Wein die Leute fröhlich stimme, erklärt mir ein Winzer am Ausschank. Dennoch achte man darauf, daß aus Rücksicht auf die Anwohner am Abend nicht zu laut gesungen werde. Schließlich sei man sehr froh, im Gegensatz zu anderen Freiluft-Lokalitäten, die ihre Terrassen bereits um 22 Uhr schließen müssen, vom Bezirksamt die Erlaubnis bekommen zu haben, den Rheingauer Weinbrunnen bis 23 Uhr offen zu halten. Ein schöner Zug, fürwahr. Apropos: Die U-Bahn hält gleich nebenan.

Ralf Losekamm

> Rheingauer Weinbrunnen, noch bis zum 7. September täglich von 16-23 Uhr, am U-Bhf. Rüdesheimer Platz

 
 
 
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