Ausgabe 06 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Leichen im Beton

Das Neue Berlin im Blick eines kalifornischen Krimi-Autors

Berlin ist längst Krimihauptstadt – zumindest im Fernsehen fliegen Helikopter durch Straßenschluchten, toughe Cops und Polizeisonderkommandos räumen mit jeder Art von Kriminalität auf. Doch das ist ungefähr so aufregend wie Strafzettel verteilen, zumindest wenn man es mit dem neuen Krimi von Buddy Giovinnazzo vergleicht.

Berlin 1995: Der Bauboom erreicht seinen Höhepunkt. Das lockt nicht nur Touristen, sondern auch jede Menge organisierte Kriminalität nach Berlin. Neben Russenmafia und Türkenclans mischen alte Stasi-Seilschaften und vor allem eine frisch eingeflogene Italo-Gang aus New Jersey kräftig mit. Die will sich das ganze Berliner Baugeschäft unter den Nagel reißen und führt amerikanische Verhältnisse ein: Korruption und Gewalt im großen Stil. In bester Pulp-Manier bekämpfen sich so innerhalb kürzester Zeit die Gangs mit Hilfe von Skins und Päderasten, Psychos und eiskalten Killern.

Literarisch funktioniert das absurde Gemetzel reibungslos ­ und das liegt an den geschickten Beschleunigungen und Verzögerungen in der Handlung. Wurde gerade eine ganze Wohnung mit dem Blut von gegnerischen Auftragskillern gestrichen ­ eine Szene an der Hannibal Lector seine Freude hätte ­, folgen Schilderungen von Spaziergängen durch das verschlafene Berlin. Im Gegensatz zu so vielen anderen Geschichten vom schnellen und gnadenlosen Berlin bleibt die Stadt selbst bei Giovinnazzo wie eine Kulisse, die in Zeitlupe vorbeizieht. Die fiese Brutalität bleibt lange Zeit im vertrauten Kreise derer, die sie ausüben. Und die haben genug Erfahrung, die Spuren solcher Orgien zu beseitigen ­ Beton spielt dabei keine unbedeutende Rolle.

Das ist der eigentliche Spaß an dem Buch, Berlin bleibt Berlin, und doch färbt die seltsame Melancholie der Stadt auf den Erzähler ab: Tony, der zunächst souveräne Auftragskiller verliebt sich in eine Ostberliner Medizinstudentin und Ex-Junkie-Frau. Mit der Liebe kommen Zweifel, trotz der permanenten Zufuhr von Beruhigungstabletten und Haschkeksen, die er in den Kneipen im Osten kauft. Und ein Killer mit Zweifeln an der Politik der „Firma" ist bestenfalls ein schlechter, im Regelfall aber ein toter Killer. So beginnt mit dem Ausstieg von Tony eine weitere Geschichte. Die blutrote Brille des Killers auf das friedliche „Spree-Athen" führt zu seltsamen Verwerfungen: Während sich Tony über das unbeschwerte Leben in den Berliner Clubs und Bars wundert, fragt sich der Leser, wieviele Leichen tatsächlich im Beton des neuen Berlin liegen mögen und wieviel unauffällig wattierte Umschläge in den Baucontainern den Besitzer gewechselt haben.

Als Grenzgänger ist Buddy Giovinnazzo, US-Autor und Filmemacher, für diese Art von literarischen Verschiebungen bestens geeignet. Giovinnazzo lebt in Berlin und Los Angeles und kann so den Blickwinkel immer wieder neu justieren. Dabei hat er als Regisseur einer Folge von Polizeiruf 110 durchaus bewiesen, daß er auch mit weniger Blut auskommt.

Und so wird es am Ende tatsächlich noch versöhnlich, wenn Tony blutverkrustet Richtung Sonnenaufgang weiterzieht und an der polnischen Grenze erkennen muß, daß der US-amerikanische Gangster-Imperialismus gescheitert ist. Nun ja, auch Killer werden sentimental, und so steht am Ende ein kleines Plädoyer für mehr Völkerverständigung. Spätestens hier wird deutlich, daß der Roman zwar 1995 spielt, aber nach dem 11. September 2001 geschrieben wurde.

Marcus Peter

> Buddy Giovinnazzo: Potsdamer Platz. Pulp Master/Maas Verlag, Berlin 2003. 13,80 Euro

 
 
 
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