Ausgabe 06 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Hauptsache, es wird gefühlt

Ein Ausflug in die ambivalente Kunst

Er ist ein Mensch, wie man ihn in Berlin häufig trifft: Einer aus der Sparte Mediendesigner oder Werbekaufmann. Könnte man meinen. Wenn man dann sieht, was er wirklich macht, ist es noch lange schwer vorstellbar: Dieser ganz normale Typ macht ganz unnormale Filme. Hardcore pur. Und erzählt dabei von der Schönheit und dem Fühlen.

Ich kann meinen Blick nicht abwenden von diesen Bildern, in jeder Ecke eine andere Szene. Da ist ein Mann zu sehen, angekettet und auf allen Vieren, der sich offenbar für einen wilden Hund hält und in einen blutigen Oberschenkelknochen beißt. Auf einer anderen Wand ein Mann, der seine sexuelle Lust am Auspuffrohr eines Mercedes auslebt. Oder die Szene mit dem nackten Blonden, der überhäuft von Pommes und angenagten Hamburgern tot am Fluß liegt, besabbert, mit offenem Mund. Dann die Nahaufnahme: eine Ejakulation, wie es sie nur im Film geben kann. Da möchte man sich die Hände vor die Augen halten, empört sein, sich aufregen. Und tut es doch nicht. Stattdessen starrt man verwirrt und fasziniert auf die Leinwand ­ und weiß selbst nicht, warum.

„Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder man läuft weg oder betrachtet in meinen Filmen die Schönheit", sagt Joep van Liefland. Wie er so dasitzt und erzählt mit seinen sympathisch blitzenden Augen und seinem holländischen Akzent, verwundert es doch, daß er solche Filme dreht. Da suche ich vergeblich nach irgendeinem Hinweis, der auf diese Art von Filmen deutet. Doch ich liege falsch. Joep van Liefland findet seine Filme nicht düster. Genausowenig wie für ihn unangenehme Gefühle düster sind. Hauptsache, es wird gefühlt. Wenn der Betrachter sich ekelt und schämt, fasziniert ist und belustigt, dann ist das genau das, was er mit seinen Filmen erreichen möchte. „Ich bin satt vom Potsdamer Platz und H&M und all dieser Eintönigkeit." Extrem und ambivalent soll es sein.

Sein zweites Projekt hat auch mit Filmen zu tun. Und auch hier geht es extrem zu. Ein Videoverleih in Berlin-Mitte und ein Ort wie kein zweiter: Strahlt dem unwissenden Besucher noch von weitem das fröhliche Funkeln des „Video Palace"-Schildes entgegen, dürfte ihn spätestens beim Betreten des Raumes das Gefühl ereilen, sich verlaufen zu haben. Da wühlen sich die Füße durch zerdrückte Bierdosen und Safttüten, vergilbtes Zeitungspapier und blutbefleckte Heroinspritzen, windet man sich durch staubige Luft und dreckige Spinnweben. Inmitten dieser Szenerie stehen Regale, bestückt mit Filmen, die wohl kaum einer kennt und die vielleicht auch niemand sehen will: Mein bester Freund Mimi oder Storm für fünf Euro das Stück. Bringt man den Film nicht zurück, behält man ihn eben. Auch das kommt oft vor. Denn der Video Palace hat keine Leihausweise und schon gar keine regulären Öffnungszeiten. Er öffnet ganz plötzlich einen Tag lang und dann lange wieder nicht. Joep van Liefland nennt das ganz profan „ein neues Raumkonzept" und eine Art „Lebensgefühl". Um den Filmverleih an sich geht es nur zweitrangig. Zuoberst steht die Kunst: „Ich weiß nicht genau, was es ist, aber der Video Palace macht die Leute wach. Es ist wohl das Groteske, was vielen gefällt." Wenn der aus Utrecht stammende Künstler dann im hinteren Raum des Video Palace seinen eigens produzierten Erotikfilm Splatter Orgasm als Vierteiler zeigt, dann ist man wieder fasziniert und verwirrt. Danach geht man mit dem Angriff der Killertomaten unterm Arm nach Hause und kann sagen: Heute habe ich richtig was erlebt. Manche sagen „etwas Lustiges", manche sagen „etwas Abgefahrenes" und manche sicher auch „etwas Unmögliches." Letztlich ist es egal, was man sagt. Dem Künstler gefällt's ohnehin.

Kirsten Rautenberg

> Die nächste Vernissage mit dem neuen Film von Joep van Liefland findet am 4. Juli um 20 Uhr in der Galerie Maschenmode, Torstraße 230 statt. Die filmische Ausstellung samt „Video Palace" ist noch vier Wochen zu sehen.

 
 
 
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