Ausgabe 06 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Berlin 1903

3. Juli bis 3. September

Am zweiten Pfingstfeiertag wurden 1.115.000 Personen durch die Große Berliner Straßenbahn befördert, die damit 100.400 Mark einnahm, dies sind die höchsten Zahlen, die diese Gesellschaft bisher zu verzeichnen hat. Am ersten Pfingstfeiertag wurden nur 1.000.000 Personen befördert, die 96.500 Mark Fahrgeld entrichteten. Im Grunewald war der Verkehr am gewaltigsten, in 250 Wagen der Großen Berliner und der Charlottenburger Straßenbahn sowie der Westlichen Vorortbahn wurden rund 25.0000 Personen durch vier Einfahrtspunkte über Charlottenburg, Wilmersdorf, Halensee und Steglitz befördert. Den zweitstärksten Verkehr hatte Treptow zu verzeichnen, dort werden durch die Straßenbahnen 93.000 und durch die Dampfergesellschaft „Stern" 18.000 und durch die Stadtbahn 13.000 Personen befördert.

Über Arbeitslosen-Versicherung und Armenpflege äußert sich in einer Schrift Prof. Dr. G. Hirschberg, der neue Leiter des Berliner statistischen Bureaus. Er wirft die Frage auf, aus welchen Gründen die Armenpflege zur Zeit nicht als Arbeitslosen-Versicherung angesehen werden kann und was zu geschehen habe, um sie entsprechend auszugestalten. Er schlägt vor, aus Gemeindemitteln einen Arbeitslosenhülfsfonds einzurichten, eventuell auch auf Kosten des Armenetats. Personen, welche die Armenpflege wegen Arbeitslosigkeit in Anspruch nehmen, sollen zunächst dem Arbeitsnachweis überwiesen und, wenn durch diesen Arbeit nicht zu erhalten ist, dem Hülfsfonds zugewiesen werden. Die Unterstützung aus dem Hülfsfonds soll nicht als Armenunterstützung gelten. Personen, welche nicht unterstützungswohnsitzberechtigt sind, sollen nur dann aus dem Fonds unterstützt werden, wenn die unterstützungsverpflichtete Gemeinde einen entsprechenden Arbeitslosenfonds besitzt und aus diesem den gezahlten Betrag erstattet. Außerdem soll gesetzlich die Möglichkeit gegeben werden, die Berufsgenossenschaften (zum Beispiel des Baugewerbes) zu den Kosten mit heranzuziehen.


Bild: Archiv Hennig

Personen, welche nicht unterstützungswohnsitzberechtigt sind, sollen nur dann aus dem Arbeitslosenhülfsfonds unterstützt werden, wenn die unterstützungsverpflichtete Gemeinde einen entsprechenden Arbeitslosenfonds besitzt und aus diesem den gezahlten Betrag erstattet.


Der Berliner Lokal-Anzeiger glaubt, daß mit einer solchen Einrichtung niemandem recht gedient sei. Die versicherten Arbeiter wollen doch im Fall der Arbeitslosigkeit einen Rechtsanspruch auf Unterstützung. Und ungerecht sei es, die Kosten einer solchen Unterstützung dem Armenetat und damit also der Gemeinde aufzubürden. Die Kosten für eine Arbeitslosenversicherung sollten durch Beiträge der beteiligten Arbeiter und den entsprechenden Industrien aufgebracht werden, auch ein Staatszuschuß, wie er in der Alters- und Invaliditätsversicherung besteht, komme in Frage.

Der Kaiser von Rußland verleiht dem Inhaber der hiesigen Straußenfeder-Fabrik W. Freystadt, Herrn Wilhelm Freistadt in Groß-Lichterfelde, den Stanislausorden III. Klasse.

Die Große Berliner Straßenbahn ist, mit Rücksicht auf die nicht überall vorhandene Rentabilität der Vorortslinien, entschlossen, von der Errichtung neuer Straßenbahnen nach den Vororten Abstand zu nehmen, wenn die beteiligten Gemeinden keine Garantie für die Rentabilität übernehmen. Die Große Berliner erklärt, daß sie nur dann in Verhandlungen treten könne, wenn ihr die Gemeinden durch Vertrag eine Mindesteinnahme von 35 Pf. pro Wagen und Kilometer der Linie garantieren. In einer Reihe von Vororten ist man nun nicht abgeneigt, den Zehnpfennigtarif gegen Ergänzung der noch fehlenden Verbindungen preiszugeben. Es wird zugegeben, daß selbst stark benutzte Linien, wie z. B. die nach Tegel, sich nicht recht rentieren können, weil die Fahrgäste, besonders die Sonntagsausflügler, die ganze Strecke für 10 Pf. durchfahren, wodurch die hohen Kosten des Stromverbrauches kaum gedeckt werden. Auf die Übernahme der geforderten Garantie können sich aber die meisten der in Frage kommenden Gemeinden aus Rücksicht auf ihre finanzielle Lage kaum einlassen.

Falko Hennig

 
 
 
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