Ausgabe 06 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Offen für Neues

Die Stiftung Haus der Demokratie feiert ihren 10. Geburtstag

Unkraut vergeht nicht. Es nimmt sich seinen Raum und läßt sich nicht domestizieren. Im Haus der Demokratie und Menschenrechte haben fast 70 NichtRegierungsorganisationen ihren Sitz. Das ist so etwas wie ein demokratisches Feuchtbiotop und in dieser Größenordnung einzigartig, und zwar nicht nur in Deutschland. Zu finden ist das Projekt in der Greifswalder Straße 4, nicht weit vom Alexanderplatz. Das Haus der Demokratie hat bereits eine wechselvolle Geschichte hinter sich.

Im Dezember 1989 übergab der Zentrale Runde Tisch ein Gebäude aus dem Parteivermögen der SED sechs ostdeutschen Bürgerbewegungen. Das Haus der Demokratie, zunächst in der Friedrichstraße 165 angesiedelt, wurde schnell zum Knotenpunkt für politische Initiativen. Im Gebäude war Platz genug, und so fanden immer mehr Gruppen ein Zuhause, die anderswo ihre Miete nicht mehr zahlen konnten oder sonstwie Probleme hatten, Räume zu finden oder zu halten.

Die Friedrichstraße zeigte sich zu dieser Zeit noch nicht futuristisch in Spiegelglas an Fassaden mit überhöhter Traufhöhe gekleidet. Und es war normal, auch mal als Berliner dorthin zu gehen, zum Beispiel, um gegen den Golfkrieg zu demonstrieren. Das war, bevor überall die Baugerüste aus dem Bürgersteig wuchsen und anständigen Demonstranten den Weg versperrten.

1993 entstand die Stiftung zum Haus, die recht schnell eine wichtige Rolle übernehmen mußte. Denn die Bürgerbewegungen hatten sich in der Friedrichstraße breitgemacht wie der arme Verwandte im Familiensitz der Erbtante. Ringsherum kaufte sich nach und nach der deutsche Beamtenbund ein, nur das Filetstück, die Nummer 165, fehlte noch. Es folgten zähe Verhandlungen, bis sich die Betroffenen ­ Treuhand und Beamtenbund ­ auf eine Lösung einigten. Es blieben fünf Zimmer zur Untermiete unterm Dach für die Bürgerbewegungen. Alle anderen Projekte waren ohnehin bloß Trittbrettfahrer und sollten gefälligst wieder da hin, wo sie hergekommen waren.

Zum Teil traf dieser Vorschlag im Haus sogar auf Zustimmung. Die ostdeutsche Bürgerbewegung war im Westen angekommen. Eilfertig machten sich die einen auf den „Marsch durch die Institutionen", den anderen blühte der „Marsch in die Bedeutungslosigkeit". Doch es kam anders: Der Zusammenschluß mit ähnlichen Projekten aus der Westberliner politischen Szene sicherte dem Haus seine Existenz und eine neue Breitenwirkung. Verein und Stiftung erkämpften eine Auslösesumme; mit diesem Geld und einem Kredit konnte ein Ausweichobjekt erworben werden. Der Umzug in die Greifswalder Straße geschah also nicht freiwillig und war von unschönen Umständen begleitet. Das Kapitel ist nun abgeschlossen, und ein neues kann aufgeschlagen werden. Seit einigen Wochen amtiert im Haus der Demokratie und Menschenrechte ein neuer Vorstand.

Der Ortswechsel beinhaltete vor allem die überlebensnotwendige Erneuerung und Öffnung. Vielleicht wäre das Projekt sonst heute genauso leblos wie Teile der ostdeutschen Bürgerbewegung. Oder wie die Friedrichstraße. Dort wird übrigens demnächst am Haus Nr. 165 eine Bronzetafel an bewegtere Zeiten erinnern.

Anke Engelmann

 
 
 
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