Ausgabe 05 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Ein notorischer Täter

Bernd Holtfreter ist tot

Bernd Holtfreter stammte aus einem alten Piratengeschlecht. Jedenfalls hat er mir mal erzählt, zusammen mit Klaus Störtebeker sei auch ein Holtfreter hingerichtet worden. Auch ohne weitere Nachforschungen glaube ich fest, daß in seinen Adern Freibeuterblut floß. Bernd Holtfreter kam von der Küste, aus Rostock. Ihn verschlug es nach Prenzlauer Berg, in die Oderberger Straße.

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„Wegen dem da", so erzählte mir Tappi einmal, als ich Bernd mit ihm zusammen im Entweder/Oder traf, „wegen dem da, habe ich früher Blut und Wasser geschwitzt. Der ist ein ganz besonderer Junge. Sicher, das waren noch viele andere, aber der da, der war immer dabei, immer im Zentrum." Tappi war Vorsitzender des Wohngebietsausschusses (WBA) der Nationalen Front in der Oderberger Straße. In seinem Gebiet lag der Hirschhof und damit ein Vorgang, der es zu mehreren Metern Stasiakten brachte. Sogar eine Dissertation sei dabei, so erzählte es mir Bernd einmal, über die Fehler, die die Stasi am Hirschhof begangen habe.

Bernd Holtfreter gehörte zu einem Trupp von Anwohnern, der 1985 die verschiedenen Hofgrundstücke im Inneren des Blocks mit Unterstützung des Grünflächenamtes zu einem gemeinschaftlich genutzten Garten zusammenlegte. Angelegt wurde dabei auch eine kleine Arena, in der im Sommer Veranstaltungen stattfinden konnten. Nur konnte man in der DDR nicht einfach so öffentlich eine Veranstaltung durchführen. Man brauchte für alles eine Genehmigung. Schon nach der Einweihungsfeier gab es großen Ärger ­ mit dem Ergebnis, daß Bernd Mitglied in Tappis WBA wurde. Und Tappi Blut und Wasser schwitzte. Irgendwer hatte nämlich herausbekommen, daß ein Wohnbezirksausschuß der Nationalen Front keine Erlaubnis für Veranstaltungen brauche. Und so trat eben der WBA als Veranstalter auf. Als 1987 die Wahlen zur Volkskammer stattfanden, wurde Tappi schließlich erlöst. Bernd gründete mit seinem Trupp einen eigenen WBA auf der anderen Straßenseite. Das muß der schrägste WBA in der ganzen DDR gewesen sein.

Foto: Mirko Zander

Nicht nur die Oderberger Straße hat Bernd und diesen beiden WBAs eine Menge zu verdanken. Ohne sie gäbe es sie schließlich nicht mehr. Zumindest nicht mehr als Altbauquartier. Ende 1986 drangen nämlich die ersten Gerüchte vom geplanten Flächenabriß in den Kiez. Die Oderberger sollte zum Plattenbauquartier werden. Die Pläne waren schon fertig, als der WBA eine legendäre Bürgerversammlung einberief, in deren Folge sie wieder eingestampft wurden. Dafür sollte zunächst die Rykestraße dran glauben, später die Gegend um die Mulackstraße in der Spandauer Vorstadt. Auch daraus wurde nichts: Mit Unterstützung aus der Oderberger Straße gründeten sich auch dort Bürgerinitiativen, ohne die Berlin heute um einige spannende Altbaukieze ärmer wäre.

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Von all dem hat mir Bernd viel erzählt, später, in den frühen neunziger Jahren, als jeden Montag erneut ein WBA in der Oderberger Straße tagte. WBA stand jetzt für „Aktionsbündnis Wir Bleiben Alle", und wieder war eine bunte Truppe um Bernd herum versammelt. Die Aktionen rankten sich um große wie kleine Themen, um lokal wie bundesweit Bedeutsames gleichermaßen: Demonstrationen gegen Mieterhöhungen, gegen die Olympiabewerbung Berlins, eine legendäre Veranstaltung in der Gethsemanekirche mit dem damaligen Bundesbauminister Klaus Töpfer, in deren Folge Gesetzesvorlagen verändert wurden, und Herr Töpfer seine Liebe zu Prenzlauer Berg entdeckte. Auf der anderen Seite die Kämpfe um konkrete Häuser wie die Kastanienallee 77, die auch tatsächlich einem Spekulanten entrissen werden konnte. Nicht überall waren die Aktionen von Erfolg gekrönt. Der Gleimtunnel z.B. wurde trotzdem eröffnet, und die obdachlosen Jugendlichen mußten trotz allem aus dem Haus der Heilsarmee in der Kastanienallee wieder ausziehen. Bernd hat für diese Kinder wahrlich einige schlaflose Nächte durchgestanden. Besonders am Herzen lag ihm das Stadtbad Oderberger Straße. Es wollte ihm nicht in den Kopf, daß die Stadt hunderte Millionen für protzige Olympiabauten in Prenzlauer Berg ausgab, aber das wahrlich prächtige und denkmalgeschützte Stadtbad verrotten ließ, in dem er seinem Sohn das Schwimmen beigebracht hatte. Mit viel Aufwand und vielen kreativen Mitstreitern gelang es ihm zumindest, die Verfügung über das Schwimmbad den Berliner Bäderbetrieben zu entwinden und in die Hände einer eigens gegründeten Genossenschaft zu legen. Ohne die Chance auf Zuschüsse aus der Landeskasse ist die Sanierung dieses Baus jedoch nicht zu finanzieren. Tragisch war, daß Bernd Holtfreter die Kürzung dieser Gelder selbst beschließen mußte: als bau- und wohnungspolitischer Sprecher der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin.

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Im Jahr 1995 lud mich Bernd zu einem Treffen in der Oderberger Straße ein. Diesmal ging es nicht um Aktionen, diesmal ging es um etwas Persönliches: Er habe eine Entscheidung zu treffen. Zwei Parteien, die Grünen und die PDS hätten ihn gebeten, für das Abgeordnetenhaus zu kandidieren. Ihm ging es aber gar nicht um die Frage für wen, sondern ob er oder ob er nicht ins Parlament gehen solle. Er stand dem Lager der „Reformsozialisten" deutlich näher als dem der „Oppositionellen" der DDR, mit deren Opfergehabe er wenig anfangen konnte. Bernd war eben notorischer Täter. Für die PDS holte er in der grünen Hochburg des Prenzlauer Berg ein Direktmandat, was ihm viele Oppositionelle sehr übel nahmen.

Das Aktionsbündnis WBA war bereits zuvor an seine Grenzen gestoßen. Manche Debatten zogen sich ins Unendliche, ich bewunderte Bernd immer für seine Engelsgeduld, mit der er sie durchstand, und dafür, wie er häufig den Dreh fand, am Ende doch noch etwas Produktives herauszuholen. Bernd gründete mit einem Teil der Gruppe später das „Stadtforum von Unten".

Auch aus dem Parlament heraus unterstützte Bernd Holtfreter viele Initiativen im Kiez. Hervorzuheben sind vor allem die Mietergenossenschaften, die sich vor allem in Prenzlauer Berg und in Mitte neu gründeten. Über Bernd liefen viele wichtige Kontakte, nicht nur zur Politik, sondern zum Beispiel auch zu den Banken. Aber natürlich war ein Teil seiner Energie im Parlament von anderen, größeren Dingen gebunden: den Schattenhaushalten etwa, die sich in Berlin rund um die städtebaulichen Entwicklungsgebiete auftürmen, dem Ausbluten der kommunalen Wohnungswirtschaft oder dem katastrophalen Zustand der Berliner Bankgesellschaft. Bernd war mittendrin, als dieser Skandal allmählich ans Licht der Öffentlichkeit kam; im Abgeordnetenhaus organisierte er damals eine regelrechte öffentliche Tauschbörse für Informationen.

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Bernd Holtfreter starb am 4. Mai 2003, kurz nach seinem 52. Geburtstag, an Krebs. Er hinterläßt einen Sohn und eine Tochter.

Christof Schaffelder

 
 
 
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