Ausgabe 05 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

„Das ganze Toleranz-Gesäusel tarnt nur eine zunehmende Repression"

Gespräch mit Eike Stedefeldt, Mitbegründer von Gigi. Zeitschrift für sexuelle Emanzipation

Im Mai ist die 25. Ausgabe der Gigi mit einem Themenschwerpunkt zum Sexualstrafrecht erschienen. Das seit 1999 zweimonatlich erscheinende Blatt bietet eine Mischung aus journalistischen und theoretischen Beiträgen und hat sich mittlerweile bei steigenden Abonnentenzahlen etabliert. In der publizistischen Wüste der Homo-Presse steht Gigi mit seinem Anspruch heute allein da. Erhältlich ist Gigi zum Preis von 2,50 Euro u.a. im Infoladen in der Liebigstr. 34, Friedrichshain, und im Prinz Eisenherz-Buchladen in der Bleibtreustr. 52, Charlottenburg.
www.gigi-online.de

Wie ist es zur Gründung der Zeitschrift gekommen?

Das war eigentlich eine sehr logische Sache. Auf dem schwullesbischen Printmedienmarkt hatte sich im politischen Bereich eine Lücke aufgetan. Ohne weiteres feststellbar war, daß die politische Verblödung in der Szene zunimmt. Das mußte Ursachen haben: die ganze Verbürgerlichung, die Einordnung der Schwulen- und Lesbenszene in den Parteienstaat ­ aus den Lesben- und Schwulenverbänden wurden Vorfeldorganisationen irgendwelcher Parteien. Durch all das hat das oppositionelle Potential sehr stark abgenommen, und das lag eben auch an mangelnder politischer Bildung und Information sowie kritischer Reflexion in der Szene. Meine damalige Marktanalyse ergab eine ziemlich präzise Lücke. In die konnte der Herausgeber, das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk) reinstoßen.

Wir haben diese Analyse als Flugblatt veröffentlicht und das hat uns noch vor Erscheinen der ersten Ausgabe eine Klage der damaligen Herausgeber des bundesweit auflagenstärksten Homo-Blattes Queer eingebracht. Das bescherte uns Öffentlichkeit und hat den Start recht gut beflügelt. Wir hatten also gleich die passende Gegnerschaft auf den Plan gerufen. Auf dem Flugblatt stand unter anderem, daß für Queer CDU-Leute schreiben, während man gegen ausgewiesene Linke hetze, daß Queer den latenten Rassismus der Neuen Mitte und den Geschichtsrevisionismus der „Selbstbewußten Nation" verkörpert inklusive der Verharmlosung des Massenmordes an den europäischen Juden. Der Queer hat die Klage mehr geschadet als uns. Queer gibt es heute nicht mehr.

Wieso der Name Gigi?

Wir suchten natürlich nach einem eingängigen Namen, der unser Konzept von Sex und Gender widerspiegelt, indem er relativ geschlechterindifferent war. Gigi ist ein französischer Frauen- und ein italienischer Männername, und in Paris heißen wahrscheinlich tausende Huren Gigi, so manche Revue-Tänzerin und Tunten und Transen sowieso.

Wir sind aber keine Zeitschrift, die sich nur Homo-Themen widmet. Wir sind zwar im Homo-Bereich entstanden, aber wir fassen Sexualität schon weiter auf. Unser Konzept ist, Sexualität als etwas Politisches zu begreifen, was nicht losgelöst von anderen gesellschaftlichen Vorgängen zu betrachten ist. Wir haben jetzt beispielsweise die aktuelle Ausgabe zum Sexualstrafrecht gemacht, im Kontext Innere Sicherheit, Terror- und Kinderschänder-Hysterie. Letzteres ist ein Thema, das nicht mehr sachlich-differenziert betrachtet, sondern hoch emotionalisiert und gerade deshalb aktuell zum Abbau von Grundrechten mißbraucht wird. Oder: Man findet in keinem Homo-Magazin derzeit Beiträge zur Arbeitsmarkt-, Renten- und Gesundheitsreform. Das sind aber Sachen, von denen Leute mit HIV und Aids in besonderer Weise betroffen sind. Diese Leute haben keine Lobby mehr. Die Rentenreform jagt zum Beispiel gerade Leute mit HIV und Aids, jüngere chronisch Kranke, in die Armutsfalle.

Das große Einstiegsthema für Gigi war der Neokonservatismus mit der dazugehörigen Homo-Ehe. Wir haben gegen den gesellschaftlichen Mainstream eine Kritik der Ehe formuliert mit besonderem Blick auf die Institution Eingetragene Partnerschaft, um zu zeigen, daß es in der Lesben- und Schwulenszene keine generelle Pro-Ehe-Position gibt und ein neues homophobes Sondergesetz droht. Der § 175 war gerade abgeschafft, und fünf Jahre später haben wir plötzlich ein neues Sondergesetz. Nur, daß Kriminalisierung und Stigmatisierung jetzt über das bürgerliche Gesetzbuch erfolgen und nicht mehr über das Strafgesetzbuch ­ ein ganz offizielles Diskriminierungsgesetz.

Was heißt sexuelle Emanzipation?

Wörtlich heißt das Befreiung der menschlichen Sexualität, also die Forderung, daß Sexualität, so sie einvernehmlich stattfindet, ohne gesellschaftliche Einschränkung möglich sein muß, ohne staatliche Eingriffe und Kontrolle. Das ist heutzutage sehr in Frage gestellt. Wir beobachten, daß seit dem Beginn der Diskussion um die Eingetragene Partnerschaft die staatliche Repression gegenüber den Orten schwuler Sexualität wieder zunimmt. Wir haben Chroniken veröffentlicht über Razzien in Saunen, Kneipen und Parks, das Abholzen von Grünanlagen, wo schwules Cruising stattfindet, die Umzäunung von Autobahnrastplätzen z.B. im Ruhrgebiet, damit Leute nicht mehr in die Gebüsche kommen, um dort anonymen Sex zu haben. Wir erleben hier in Berlin Razzien auf schwule Jugenddiskotheken ­ eine klare Drohgebärde jungen Leuten gegenüber, die gerade im Coming out sind und plötzlich in Polizeifallen geraten. In Düsseldorf werden Ordnungsstrafen gegen schwule Cruiser an bestimmten Badeseen verhängt. In Bayern werden Klappen überwacht, bundesweit werden öffentliche Toiletten geschlossen. Das hat flächendeckende Ausmaße angenommen. Die neuen City-Toiletten eignen sich einfach nicht mehr dazu, dort sexuelle Kontakte zu schließen. Ordnungsämter schicken Security-Leute in öffentliche Toiletten, um dort angeblich schwule Männer zu beobachten, die womöglich sexuelle Handlungen vornehmen. Die werden dann angezeigt und mit hohen Ordnungsgeldern bestraft ­ einfach für ihre Anwesenheit auf diesen Klos. In Hamburg wurden bei Razzien in Kneipen sogar Speichelproben von allen Gästen genommen. Schwule gelten wieder als potentielle Sexualstraftäter.

Wir nennen das immer Homo-Ehe von hinten. Denn das ganze Gleichstellungs- und Toleranz-Gesäusel ist völlig wertlos und tarnt letztlich nur eine zunehmende Repression. Das ist eine verschärfte Situation, und wir als Medium versuchen, darauf aufmerksam zu machen, damit das, was an sexueller Emanzipation erreicht wurde, nicht in diesem backlash untergeht.

Eine emanzipatorische Politik hat es also heute schwerer als noch vor ein paar Jahren.

Auf jeden Fall. Meine persönliche Analyse ist, daß dieses ganze liberale Gehabe zur Sexualität, das wir auch in den Medien sehen, verlogen ist und die latente Repression verschleiert. Natürlich fühlen sich Leute tolerant, die sagen: „Ich hab nichts gegen Schwule. Ich kenne sogar welche. Soll doch jeder so leben, wie er will." Aber die politischen Verhältnisse sind doch ganz andere. Die gesellschaftliche Dynamik tendiert gerade innerhalb von Krisenprozessen, wie wir sie jetzt haben, zu stärkerer Repression, zu politischer, ökonomischer und sozialer Kontrolle. Es geht um Disziplinierung. Das Eingemeinden in eine Volksgemeinschaft ist da für mich ein zentraler Aspekt. Man hat den Perversen diese obskure Homo-Ehe gegeben, um sie und damit ihre aus Unterdrückung von Sexualität entstandenen, aber richtungsweisenden alternativen Lebenskonzepte unsichtbar zu machen. Die Massenmedien haben sie in einer durchsexualisierten Gesellschaft, die nur vordergründig frei mit Sex umgeht, völlig entsexualisiert.

Interview: Florian Neuner

 
 
 
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