Ausgabe 05 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Kostenlose Abfallaneignung

Sperrgutmärkte in Friedrichshain-Kreuzberg

Bedenklich wie Keller und Hängeboden mit Dingen verrümpeln, die vielleicht noch mal gebraucht werden könnten. Spätestens beim nächsten Umzug ist dann Schicht. Für den Flohmarkt ungeeignet, kaum Zeit, kein Auto und auch kein Geld für den Recyclinghof, also vor die Türe mit dem Gerümpel?

In Berlin fielen im letzten Jahr rund 103 Tonnen Sperrmüll an. In Sortieranlagen wird er entweder zu Sekundärrohstoffen fraktioniert, oder, falls brauchbar, im Gebrauchtwarenhaus der BSR an der Holzmarktstraße zum Verkauf angeboten. Vom Hallenbasar in Treptow hebt sich dieses durch ein Festpreissystem ab. Jährlich 90000 Suchende nutzen sein Angebot und setzen rund ein Drittel des Lagerbestandes um. Die Abfuhr von jährlich rund 45000 m3 illegal entsorgtem Sperrmüll inklusive Sonderabfällen stellt die BSR der Wirtschaftsverwaltung in Rechnung. In den Ostbezirken fiel in den Jahren nach dem Mauerfall wohl ein Vielfaches davon an, als eine BRD-Warenflut die DDR-Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände beständig aus den Wohnungen auf die Straße schwemmte. Davor hatte noch eine durchorganisierte Altstoffwirtschaft regelmäßig für die Aufstellung von Sperrmüllcontainern in den Wohnbezirken gesorgt. Legende ist heute, wie man in den Neunzigern von der Straße weg für lau die Bude einrichten konnte. Im trashigen Westberlin war diese Ent- und Versorgung Teil der Überlebensstrategie, nachdem Anfang der Sechziger mit den offiziellen Sperrmülltagen Schluß gemacht worden war.

Seit 1999 gibt es nun die „Sperrgutmärkte". Sie werden im Spannungsfeld zwischen geordneter Entsorgung und kostenloser Aneignung in Kreuzberg und Friedrichshain abgehalten. Initiator ist der Stadtteilarbeitsbereich Gekko des Nachbarschaftshauses Urbanstraße. Die kostenlose Weitergabe von Hausrat soll die nachbarschaftliche Kommunikation fördern. Rund die Hälfte der Dinge findet hier umsonst ein neues Zuhause. Der Rest verbleibt bislang noch in der Obhut der BSR, wofür allerdings rund 1000 Euro anfallen. Diese Summe begleicht das Umweltamt aus einem Sonderfonds „Abfallvermeidende Maßnahmen", der von den Zahlungen der DASS für die Nutzung von Abfallcontainern auf öffentlichem Straßenland gespeist wird. Neben den originären ordnungsbehördlichen Aufgaben ist dieses umweltamtliche Engagement ein Bürgerservice zugunsten gerade der Kfz-losen unter uns, die dadurch Überschüssiges im Wohnumfeld legal loswerden können.

Das kreislauforientierte Geben und Nehmen auf dem Sperrgutmarkt erfolgt ohne Profitgedanken, keiner verdient ­ und alle gewinnen. Es ist Bestandteil der facettenreichen Kiezökonomie in Friedrichshain-Kreuzberg; ein Bezirk mit einer zukunftsweisenden Mischung aus Weiß- und Schwarzarbeit, offizieller und informeller Ökonomie, mit Tauschringen, einem improvisationserprobten Dienstleistungssektor und der Onkelökonomie der Immigranten und ihrer deutschen Enkel.

Verarmung und Sozialerosion zwingen zur Erprobung von Austauschbeziehungen und Aktionen, ohne den Zwischenschritt über das lästige Geld nehmen zu müssen. Die bezirklichen Tauschringe mit dem Non-cash-Punktesystem funktionieren so. Auf der Brunnenstraße residiert bekanntermaßen der „Umsonstladen". Im Glaspavillon an der Volksbühne gab es im März die „Selbstbedienungszentrale". Hier wurden Hinweise zu ausgesetzten Dingen flugs zur Übersichtskarte kartografiert. Ende Mai fand im RAW-Tempel das zweite „RestCycling Art-Festival" statt, auf dem 80 Müllbastler aus 15 Ländern den Berliner Wohlstandsmüll zu Kunst veredelten.

Solcherart Verlängerung der Lebenszyklen von Produkten ist den Finanzämtern ein Stachel im geldwerten Fleisch, denn für sie ist hier nichts zu holen. Diese Ansätze sind ökologisch, antikapitalistisch und sozial ­ im Effekt also zutiefst nachhaltig. Konsumbewußtsein und Armut sind ihre Triebfedern, aber Verbrauchermacht und finanzielle Ohnmacht nur scheinbar unvereinbare Pole. Möglich, daß sie das Potential bergen, die Wohlstandsschere etwas weniger klaffen zu lassen ­ zwischen denen, die mehr besitzen als sie brauchen und jenen, die davon etwas gebrauchen könnten.

Andi Seidel

 
 
 
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