Ausgabe 05 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Steh-Pisser und Mehrweg-Esser

Zu viele zufriedene Nutzer im Mauerpark

„Ein bißchen sauberer könnte es schon sein." „Manchmal laufen zu viele Hunde rum." Zu heftigerer Kritik ließ sich kaum jemand hinreißen, als die Vor-Ort-Sendung Berlin Life am 13. Mai die Nutzer des Mauerparks zu einer „öffentlichen Diskussion" einlud. „Der Mauerpark – nur Müll, Randale und Hundekot?" fragte der frischgetaufte Sender RBB Berlin in der Ankündigung. Die Antwort schien schon festzustehen. Aus freilaufenden Hunden wurden „streunende" Bestien, in gemütlichen Kiffern vermutete man tückische „Drogendealer", und die Kapuze im Nacken entlarvte den gewaltbereiten Jugendlichen, der nachts Randale macht und tagsüber – wie überhaupt alle Anwesenden – als „Menschenmasse" den Park zumüllt und „übernutzt". Denn das Schlimmste am Mauerpark ist die große Zahl seiner Nutzer.

Nicht nur der RBB zeigt sich empört. Auch Bürgervereine, Betroffenenvertretungen, Quartiersmanager und Lokalpolitiker sehen Handlungsbedarf. Und die zitty urteilt, der Mauerpark sei „mehr Müllhalde als Grünfläche". Nur die Nutzer scheinen zufrieden ­ darum sind es ja so viele.

Seit seinem Bestehen wird der Park so hervorragend angenommen wie kaum eine andere Berliner Grünfläche. Man kann trinken, kiffen, grillen, Musik machen und Sport treiben, herumliegen, die Kinder spielen lassen und den Leuten zusehen. Interessiert dreinblickende Touristen, grinsende Trommler, Kleinfamilien und die unvermeidlichen UdK-Konzeptgesichter sind zu sehen; immer häufiger kommen auch Weddinger Türken. Über einen Mangel an Grün braucht man sich nicht zu beklagen: Auch die Polizei nimmt gern am Parkleben teil.

Die Vielfalt der Nutzungen und Nutzer ist gut organisiert. Ein Berghang zum Sehen, ein gepflasterter Korso zum Gesehenwerden, kleine Bereiche für Aufführungen, für Trommler, Sprüher, Jongleure und Boule- oder Basketballspieler, rauhe, staubige Flächen zum Grillen und Fußballspielen sowie ­ am Falkplatz ­ saftig grüne zum Liegen; im Norden ein Birkenhain, wo man Ruhe findet.

Demnächst kommen noch weitere Funktionen hinzu. Ende des Jahres wird der Bauabschnitt IV eingeweiht, der Gärten, Wiesen und einen Kletterfelsen zu bieten hat und eine Verbindung zum nördlich gelegenen Kinderbauernhof herstellt. Bis zum Jahre 2010 soll der Park um weitere 2 Hektar wachsen.

Diese Erweiterungen sind nicht allein dem wachsenden Andrang zu verdanken, sondern auch einem bockigen Sponsor. Die Allianz-Umweltstiftung hatte den Bau des Mauerparks unter der Bedingung mitfinanziert, daß er später erweitert wird. Dafür war ursprünglich das Gewerbegebiet westlich des Mauerparks vorgesehen. Aber die Stadt kann sich den Ankauf der 13,5 Hektar nicht mehr leisten. Sie sind ehemaliges Eisenbahngelände und gehören der Vivico, einer Immobiliengesellschaft der Deutschen Bahn, die sie lieber als Bauland versilbern will. Letztes Jahr einigte man sich auf ein Tauschgeschäft: Der Großteil des Geländes wird für Wohnungsbau freigegeben, dafür erhält der Bezirk Mitte einen schmalen, 2 Hektar großen Streifen entlang des Mauerparks, gerade so viel, daß die Allianz-Stiftung ihre Gelder nicht zurückfordern kann. Die Vergrößerung des Mauerparks kommt endlich voran.

Auch seine organisatorische Durchgestaltung schreitet voran. Um dem wachsenden Sicherheits- und Ordnungsbedürfnis Rechnung zu tragen, wurde der Kinderpielplatz abgezäunt, ebenso die Hänge der halb ins Gelände eingegrabenen Sporthalle, eine Schilfzone und seit neuestem ein Hundekackplatz an der Eberswalder Straße. Nach dem Willen des örtlichen Quartiersmanagements sollen demnächst noch Grillzonen dazukommen; vielleicht werden eines Tages auch spezielle Raucherecken beschildert und umzäunt.

Ärgerlich, daß so ausgerechnet das schlechteste Instrument im Repertoire der Grünplaner zum dominierenden Gestaltungelement wird: der Zaun. Undurchdringlich außer für Steh-Pisser, schafft er doch keinen Raum. Weder davor noch dahinter mag man sich setzen; die Abgrenzung, die Definition von Eigentum und Nutzungsrechten ist sein einziger Zweck. Ärgerlich ist auch, daß die Zonierungen die Entwurfsidee vergewaltigen, indem sie vom Rand her das freie Feld zusehends einengen. Es ist dieses weite Feld mit seinen locker verteilten geometrischen Elementen – Baumgruppen, Spielflächen, Amphitheater –, das den Reiz des Parks ausmacht. „Man muß nicht immer alles gestalten", sagt selbst Hendrik Gottfriesen von der Grün Berlin Park und Garten GmbH gegenüber Berlin Life. Aber wenn man es unbedingt für nötig hält, könnte man es wenigstens richtig machen.

Der Aktionismus der lokalpolitischen Akteure hat einen Grund. Sie bangen um ein romantisches Ideal. Die störenden, allzu städtischen Funktionen werden in Sonderzonen eingehegt; der Rest soll halbleer, still, grün und „natürlich" daherkommen, so, wie man sich einen guten Park vorstellt.

Aber was ist ein guter Park? Die Definitionen der letzten Jahrhunderte in chronologischer Reihenfolge: Ein guter Park ist erstens eine künstliche Wildnis, ein unnatürlich ergiebiges Jagdrevier für den örtlichen Fürsten. Er ist zweitens ein Garten für höfische Feste mit Musik, Gelagen und Sex im Busch. Seine verschlungenen Wege und pittoresken künstlichen Felsenklippen dienen drittens dem Bürgertum zur Befriedigung romantischer Sehnsüchte sowie zur Heiratsvermittlung der Töchter, die man hier sonntags aus- und vorführt. Ein guter Park ist später ­ ausgestattet mit Sportplätzen, Liegewiesen und Freibädern ­ eine Anstalt zur Erholung und körperlichen Ertüchtigung des arbeitenden „Großstadtmenschen" und seiner Kinder. In Nachkriegszeiten dient er den Hungernden zur Nahrungsmittelproduktion, später ist er der Treffpunkt der Hippies, der Punks und besonders der Einwanderer, die hier Picknicks veranstalten. Auch eine moderne Version der höfischen Feste und Orgien hat ein guter Park zu bieten. Im Tiergarten sind das die sommerlichen Paraden, im Mauerpark die Walpurgisnacht oder die Fête de la Musique.

Fazit: Ein guter Park ist vieles, nur keine Natur. Von einem „ökologischen Desaster" zu sprechen, wie bei den Kritikern des Mauerparks üblich, ist Unsinn, ebenso das Gerede von „Überlastung" und Unordnung. Der Mauerpark ist so intensiv genutzt, wie es vor Jahrzehnten die Volksparks waren, er ist ökologisch nicht kaputter als jedes kurfürstliche Jagdrevier und so jugendfrei und elternfreundlich wie alle Orte, wo es nachts dunkel ist.

Und das Müllproblem? Der richtige Umgang mit dieser Zivilisationskrankheit wird am 14. und 15. Juni auf einem Festival begangen. „Utere hortis" nennen die Veranstalter das Anti-Müll-Fest, was „Nutze den Park" bedeuten soll. An diesem Wochenende kämpfen „Müll-Info-Eimer", „aufklärerisch tätige" Müllsammler und „Akustiker für Musikeinpegelung und Überwachung" für das schöne Ziel, die Parkbenutzer „in Hinsicht auf das Abfallproblem zu sensibilisieren". Die Ankündigung, „die Verpflegung mit Essen und Trinken erfolgt nach dem Mehrweg-System", scheint uns aber doch etwas übertrieben.

Katrin Scharnweber & Johannes Touché

 
 
 
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