Ausgabe 05 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Lauter Pfeifen

Der DGB macht keine Fehler, er ist der Fehler

Angesichts der angekündigten Demontage des Sozialstaats samt der dazugehörigen ideologischen Begleitmusik könnten die betont kämpferischen Töne, die seitens einzelner DGB-Gewerkschaften, insbesondere IG Metall und ver.di, zu vernehmen sind, eigentlich Balsam für die Ohren sein. Allerdings sollte man sich davor hüten, falschen Freunden zu vertrauen. Es ist wohl kaum damit zu rechnen, daß die bewährten Streikverhinderer plötzlich damit anfangen, ernsthaft die Interessen von Werktätigen und Arbeitslosen zu vertreten. Schon gar nicht, solange eine sozialdemokratische Bundesregierung amtiert.

Als Konsequenz aus der organisatorischen Zersplitterung während der Weimarer Republik gründete man den Deutschen Gewerkschaftsbund nach dem Zweiten Weltkrieg ganz bewußt als Einheitsgewerkschaft. Im Gegensatz zu den vorher üblichen Parteianhängseln sollte der DGB parteipolitisch unabhängig sein. Tatsächlich dominierten aber bereits bei seiner Gründung die alten Funktionäre des sozialdemokratischen Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes. Ihnen verdankt der DGB auch seine zwei wesentlichen Geburtsfehler: die unbedingte Loyalität gegenüber dem Staat sowie die Fixierung auf betriebliche Mitbestimmung.

Die Loyalität gegenüber dem Staat setzte den Gewerkschaften enge Grenzen in der Wahl ihrer Kampfmethoden. Wollten sie dem Legalitätsprinzip treu bleiben, mußten sie sich den strengen Kriterien für die Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen unterwerfen, die das Bundesarbeitsgericht 1955 in einem Grundsatzurteil festlegte. Mit dem Urteil sollten verbandsfreie Konflikte ausgeschaltet werden, also wilde Streiks einzelner Belegschaften. Den Gewerkschaften wies man damit die Rolle eines Ordnungsfaktors in den Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit zu. Die Interessenvertretung der Arbeiter entwickelte sich deshalb und wegen ihres sozialpartnerschaftlichen Schmusekurses zusehends zu einer Vermittlungsinstanz zwischen Unternehmer- und Arbeiterinteressen. Deshalb vertritt sie nicht mehr nur die Arbeiter gegenüber den Unternehmern, sondern auch umgekehrt die Unternehmer gegenüber den Arbeitern. Das führte Ende der Sechziger erstmals dazu, daß den Gewerkschaften die Kontrolle über ihre Mitglieder entglitt, als rund 140000 Beschäftigte der Metall- und Textilindustrie, unzufrieden mit den Forderungen ihrer Vertretung, auf das Legalitätsprinzip schissen und mit spontanen Arbeitsniederlegungen Druck machten.

Die Tendenz, aus der Unternehmerposition zu denken, verstärkte sich noch durch die gewerkschaftlichen Erfolge im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung. Seit 1976 sitzen in allen Aufsichtsräten der großen Kapitalgesellschaften, als Vertreter der Arbeitnehmerseite, Funktionäre der DGB-Gewerkschaften.

Obwohl man den DGB als parteiunabhängige Einheitsgewerkschaft gründete, war er von Beginn an eng mit der SPD verbunden. Nach der aus der Frühphase der Arbeiterbewegung stammenden Aufgabenteilung zwischen Partei und Gewerkschaft ist die Partei für die großen politischen Fragen zuständig und die Gewerkschaft für das ökonomische Alltagsgeschäft. Dabei steht letztere im Dienst der Partei. Deshalb vereinnahmte der DGB zum Beispiel 1998 die damalige Arbeitslosenbewegung und verwandelte sie in eine Kampagne für einen Regierungswechsel. Als Schröder Bundeskanzler wurde, beendete man den Spuk schnell wieder und überließ alles weitere den sozialdemokratischen Hoffnungsträgern.

Nun machen sich aber ausgerechnet diese an die Zerstörung sämtlicher gewerkschaftlicher Heiligtümer. Als der SPD/PDS-Senat aus dem Tarifverbund der Länder ausstieg, in der Hoffnung, auf diese Art und Weise billiger wegzukommen, zeterte ver.di kurz, tat aber nichts. Statt durch einen Streik im öffentlichen Dienst klarzustellen, daß ein solcher Schritt nicht billiger, sondern teurer würde, beschritt man den Rechtsweg ­ mit offenem Ausgang.

Auf die Vorstellung der Schröderschen „Agenda 2010" und dem darin angekündigten Generalangriff auf die Geldbeutel der Arbeiter und Arbeitslosen wurde das Geschrei schon lauter. Zunächst stellte der DGB in staatstragender Manier eine Gegenagenda zur Diskussion, ganz so, als bestünde die Aufgabe einer Gewerkschaft darin, Regierung zu spielen. Man kündigte aber auch Widerstand an und drohte zwischendurch sogar mit dem offenen Bruch zwischen der SPD und ihrer Gewerkschaft. Allzu ernst darf man diese Rhetorik aber wohl nicht nehmen. Man sollte sich eher fragen, ob die zur Schau gestellte Empörung nicht eher dazu dient, ein verbreitetes Bedürfnis nach Widerstand gegen die geplanten Grausamkeiten zu befriedigen, um nicht mit wirklicher Gegenwehr konfrontiert zu werden und darüber die Kontrolle zu verlieren.

Klaus Lang, Chefdenker der IG Metall, sucht in einem Aufsatz in der Frankfurter Rundschau bereits nach Kompromissen mit den Sozialdemokraten, bevor es überhaupt zu ernsthaftem Aufbegehren gekommen ist. Er schlägt zum Beispiel so umwerfende Änderungen an der Agenda vor wie, die Kürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld auf Beschäftigte ab dem Geburtsjahrgang 1953 zu beschränken, oder verteidigt die Schrödersche Maßgabe des Förderns und Forderns: „In der Sozialstaatsdebatte muß auch den Gewerkschaften die doppelte Dimension der Solidarität als Verantwortung der Gesellschaft gegenüber dem Einzelnen und als Verpflichtung des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft benannt und in konkrete politische Konsequenzen umgesetzt werden." Mit tatsächlichem Widerstand ist seitens des DGB also wohl kaum zu rechnen, eher mit Widerstandssimulation, mit sehr hausbackener überdies. ver.di trommelt in der aktuellen Ausgabe ihrer Zeitung Publik schon ihre Mitglieder zusammen und fordert: „Lauter pfeifen!" Da kann ja nichts mehr schiefgehen.

Søren Jansen

 
 
 
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