Ausgabe 04 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Ab 19 Uhr wird geschossen

Kann Kunst die Johannesburger City heilen?

Es fallen Schüsse. Ein Kind ruft nach seiner Mutter. Dann ist wieder Ruhe. Bis eine halbe Stunde später wieder jemand schießt. Alltag in den Nächten von Johannesburg City. Polizei kommt keine. Wozu auch? Man kennt das seit Jahren, und niemand würde in dem Labyrinth von Wolkenkratzern und Fabrikgebäuden, in denen teils hunderte Menschen leben, in der Dunkelheit den Täter finden.

In den letzten 15 Jahren hat ein massiver Strukturwandel das Zentrum von Johannesburg verändert. Die gesamte Bevölkerung wurde ausgewechselt, und die Funktion der Innenstadt hat sich vollkommen verändert. „Das letzte Mal bin ich vor 15 Jahren in der City gewesen", sagt der Geschäftsmann John Warby. Damit steht er nicht allein, sondern ist ein typischer Vertreter des weißen, englischsprachigen Bevölkerungsteils in der 5-Millionen-Stadt. Er schildert, wie radikal der Strukturwechsel war. Die Stadt mit der beeindruckenden Skyline, die gerne mit Chicago verglichen wurde, ist eine No-Go-Area für Weiße geworden.

Schuld daran sei die enorm hohe Kriminalität. So ist zumindest die allgemeine Meinung in Johannesburg. Auch deutsche Reiseführer raten dringend von einem Besuch ab, selbst das Auswärtige Amt in Berlin warnt vor Johannesburg im allgemeinen und diesem Stadtteil im besonderen. „Ich kenne niemanden hier, der nicht in den letzten Monaten in seinem Auto überfallen wurde oder einen Bekannten durch Mord verloren hat", beschreibt Ruth Morgenberger die Situation.

Die meisten Menschen fühlen sich hilflos ausgesetzt, da die Polizei als korrupt und unfähig gilt, und jeder, der Geld hat, hat sich in die Vororte zurückgezogen, mit ihren Einkaufszentren und den meterhohen Mauern mit elektrischen Alarmanlagen. Selbst die meisten Firmen sind geflohen. Daß aber die meisten Raubmorde in gesicherten Villen stattfinden, wollen ihre Bewohner nicht wahrhaben: Sicherheit ist ein subjektives Gefühl. Gründe für den rasanten Niedergang der City gibt es viele. Manche sind spezifisch südafrikanisch, andere weisen deutliche Parallelen zu europäischen Entwicklungen auf und sind deshalb auch hier von Interesse.

Johannesburg wurde erst 1886 gegründet, als dort Gold gefunden wurde. Innerhalb weniger Jahrzehnte entwickelte sich die Stadt zum Wirtschaftszentrum Südafrikas. Auf einer Höhe von rund 1700 Metern über dem Meeresspiegel entstand eine schachbrettartig angelegte Stadt, in der die Häuser immer höher in den Himmel ragten. Als sich Ende der vierziger Jahre das Apartheidsystem etablierte, wurden die Schwarzen zwangsweise aus der City in die Townships umgesiedelt. „Eigentlich mochte keiner dieses System. Es war so unbequem und kompliziert. Alles mußte doppelt zur Verfügung gestellt werden. Aber es war nun einmal Gesetz", beschreibt John Warby seine damaligen Gefühle und verschweigt, daß er bis heute nicht den afrikanischen Namen seiner Putzfrau kennt, sondern nur den europäischen Namen, den sie sich ihm zuliebe zugelegt hat.

Als Ende der Achtziger die Kämpfe der Schwarzen gegen die Apartheid erste Erfolge zeigten, zogen Schwarze in die Wohnungen in der Innenstadt ­ zu Beginn geduldet, später legalisiert. Man wollte sich die oft stundenlangen Wege zu den Townships ersparen und lieber nah am Arbeitsplatz wohnen. Zur gleichen Zeit begannen die reicheren Weißen, das Zentrum zu verlassen. Nicht nur die Reichen, auch arme Weiße suchten sich ein Haus in den endlos wuchernden Vororten. Dafür gibt es ähnliche Gründe wie in Deutschland: der Traum vom eigenem Heim und der Wunsch nach Ruhe und Geborgenheit innerhalb der eigenen sozialen und kulturellen Gruppe. Ein weiterer Grund war der Bau von Shoppingcentern, die viel Kaufkraft aus der Innenstadt abzogen und zu den eigentlichen Stadtzentren entwickelt wurden. Selbst die Börse gliederte sich einem Shoppingcenter an. Dort wird nun gearbeitet, eingekauft und die Freizeit verbracht. Aber auch der spezifische südafrikanische Rassismus, mit dem die Menschen über Jahrzehnte durch Schulen, Medien und Politik indoktriniert wurden, spielt eine Rolle. Eine soziale Segregation paart sich in Johannesburg immer mit einer rassistischen und einer kulturellen. Jeder sucht die Nähe zu seiner eigenen kleinen kulturellen und sprachlichen Gemeinschaft und zieht in ein entsprechendes Viertel. Man sondert sich ab.

Panorama
Foto: Lyle Schalkwyk

Das Zentrum begann zu einem Slum inmitten glitzernder Wolkenkratzer zu werden: Drei Familien in einem Zimmer sind keine Seltenheit. Nach Einbruch der Dunkelheit schließen die letzten Läden, und es gibt keine Möglichkeit auszugehen; die wenigen Bars bieten die Gemütlichkeit von ranzigen Toiletten. Ab 19 Uhr hört man unzählige Schüsse. Selbst eine Autofahrt durch die Hochhausschluchten weckt Angstgefühle.

Tagsüber ist es dort belebt. Man kann sich die Haare auf der Straße schneiden lassen oder in Billigläden einkaufen. Die Leute fühlen sich relativ sicher. Der Grund ist die flächendeckende Videoüberwachung. Niemand hier sieht das kritisch: „Nach all unseren Erfahrungen mit Gewalt war das die letzte Rettung", sagen viele. Die Videoüberwachung führt zwar zur Senkung von Gewalt, aber nicht dazu, daß die weiße und schwarze Mittelschicht in die Innenstadt zurückkommt. Denn es fehlt nach wie vor das subjektive Sicherheitsempfinden. Zudem hat man versäumt, Anreize zu schaffen. 99-Cent-Shops allein genügen eben nicht.

Genau hier setzen seit wenigen Jahren Künstler und Kuratoren an. So versuchen die beiden jungen Kuratoren Brenton Maart und David Brodie an der Johannesburg Art Gallery insbesondere die schwarze Öffentlichkeit mit attraktiven Ausstellungen für das einzige Kunstmuseum der Stadt zu interessieren. Auch die Künstler der Trinity Session, Kathryn Smith, Marcus Neustetter und Steven Hobbs, versuchen mit Aktionen, die Innenstadt interessant zu machen und ein Netzwerk mit Künstlern aus dem Johannesburger Stadtteil Soweto herzustellen.

„Ziel ist es vor allem, mit der Kunst die City wieder für alle zugänglich zu machen, die Menschen neugierig zu machen. So daß sie ihre eigene Stadt wieder kennenlernen und deren Qualitäten neu entdecken. Dabei geht es nicht um eine Vertreibung der Schwarzen, sondern um den Versuch, die Weißen dazu zu bringen, die ganze Stadt und die Lebensbedingungen aller Bevölkerungsteile wahrzunehmen und nicht nur ihre Villenviertel", erklärt die Malerin Dorothee Kreutzfeldt.

Genau dieses Ziel hatte ich auch mit der Mooimarkshow, die ich zusammen mit dem Johannesburger Künstler Christian Nerf im Textildistrikt der Innenstadt veranstaltete. Dafür verlegten wir die Galerie Expo 3000 für einen Abend Ende März von Berlin-Friedrichshain nach Johannesburg City. Mit einer Ausstellung für nur eine Nacht in Kombination mit DJ und Bar sollte in einer Etage eines Fabrikgebäudes der jungen und interessierten Szene gezeigt werden, daß man im Zentrum viele nutzbare Freiräume findet.

Bislang nutzt außer Christian Nerf kein Künstler die leerstehenden Fabrikgebäude als Atelier- und Wohnfläche. „Mich besucht fast kein Freund mehr, seit ich in der City lebe. Sie sagen alle, es sei zu gefährlich." Da kann dann auch die Miete von wenigen Euros nicht immer trösten.

Zur Mooimarkshow ­ Mooimark (schöner Punkt) heißt das Gebäude, in dem die Ausstellung stattfand ­ luden wir südafrikanische und Berliner Künstler ein, Fotografien, Videos oder interaktive Kunst zu zeigen. James Webb aus Kapstadt fertigte für die beiden Aufzüge, die noch immer die Aufschrift „European" und „Non European" tragen, eine Soundcollage; Nathaniel Stern zeigte eine Computerarbeit; aus Berlin waren Oliver Pietsch, Schumacher & Jonas und Susu Grunenberg mit Videoarbeiten dabei.

Das Aufwendigste an der Veranstaltung war ­ für Berliner sehr ungewohnt ­ das Sicherheitspersonal. So bewachten rund ein Dutzend Sicherheitsleute die parkenden Autos (öffentlichen Verkehr gibt es nach 18 Uhr nicht) und schützten die Besucher.

Es kam eine bunt gemischte Gruppe von Menschen zusammen, die sich zum Teil seit Jahren nicht mehr in die Innenstadt getraut hatten. Eine Vernissage ist eines der wenigen Ereignisse in Südafrika, an denen Menschen aller Rassen gleichermaßen teilnehmen. Statt einer Vertreibung der angestammten Bevölkerung durch Kunst, wie sie in Berlin viele Quartiersmanager auslösen, kann Kunst auch heilsam wirken. Kreative Menschen können Freiräume nutzen und Begegnungen stattfinden lassen, wie sie anderswo in Johannesburg nicht vorkommen.

Vielleicht werden bei der zweiten geplanten Mooimarkshow im nächsten Jahr noch mehr Menschen ihre eigene City kennenlernen wollen. Zumindest für diese eine Nacht waren die Waffen in der Gegend um das Mooimarkbuilding verstummt.

Spunk Seipel

 
 
 
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