Ausgabe 04 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

„Hier muß jeder durch"

Die Kunsthochschule Weißensee und ihr Kiez

Das Berliner Hochschulwesen kommt meist nur in die Zeitung, wenn eine neue Sparrunde droht. Ab und zu tut es gut, die Sache aus einer anderen Perspektive zu betrachten. scheinschlag besuchte Margit Werkmeister, Pförtnerin an der Kunsthochschule Weißensee, in ihrer Loge.

Es heißt, daß Sie diejenige sind, die am besten über die Hochschule Bescheid weiß, weil Sie als Einzige wirklich interdisziplinär arbeiten.

Das vielleicht nicht. Aber ich kenne mich gut aus, das stimmt. Ich wohne ja auch schon sehr lange hier in der Gegend. Hier in der Jacobsohnstraße war meine erste Wohnung. ­ Die Anette? Ja, die war schon bei mir. Die ist hier, ich hab sie gesehen. ­ Ich kenne hier Leute, da ist die Mutter 100 und der Sohn 80. Das sind Dimensionen, die heute gar nicht mehr vorkommen. Immer noch im gleichen Haus, in der gleichen Wohnung, im gleichen Bett. Ich bin jetzt 23 Jahre hier in Weißensee, da kennt man die Leute und ihre Probleme natürlich. ­ Schlüssel 204? Jaja, kommt in einer Minute zurück, ich guck auch genau auf die Uhr. Das ist hier alles sehr diszipliniert, habe ich gerade erfahren.

Wie lange arbeiten Sie schon hier?

Seit 14 Jahren. Das kam damals durch einen ganz dummen Zufall, durch einen Hund. ­ Kunsthochschule Berlin, Guten Tag. Nina, ich hab ihn nicht gesehen. Die sind heute irgendwo an einem Bahnhof, ein Außentermin mit Herrn Eberle. Aber Montag könnten wir übers Sekretariat wieder was machen. Gut, danke, tschüß! ­ Ich muß immer alles hier wissen, ich weiß doch auch nicht alles. Na gut, der Hund. Ich hatte einen Hund, einen Wesley. Und meine Vorgängerin hier hatte auch einen, der gehörte einfach zur Hochschule dazu, und sie kam immer an meiner Wohnung vorbei, gleich da vorne. Wir haben uns kennengelernt, aber eines Tages wurde sie schwer krank, und gleichzeitig machte meine Firma zu. Da habe ich von einen Tag auf den anderen hier angefangen. Das war '89. ­ Nein, im Moment schlecht, das paßt grad nicht.

Hat sich seitdem viel geändert?

Es ist viel geregelter und bürokratischer geworden, und die Menschen haben nicht mehr diesen Zusammenhalt. Das merkt man ja auch zu Hause. Wenn zu DDR-Zeiten einer krank war, hat sich das ganze Haus drum gekümmert. Heute ist jeder ein Alleinkämpfer, auch hier in der Schule. Man kennt sich nicht mehr ganz so gut wie früher.

Liegt das nicht vielleicht daran, daß die Hochschule einfach größer geworden ist?

Natürlich, das kommt noch dazu. Wir sind ja gewachsen. Wir waren sehr klein, die ganzen Bürogebäude z.B., die jetzt angemietet sind, gehörten damals nicht dazu. Und da, wo jetzt der Neubau steht, stand damals nur eine Baracke. Das ist natürlich auch mehr Arbeit für uns Pförtner. Wir machen abends unseren Rundgang, jede Tür muß kontrolliert werden. Das ist schon manchmal etwas hektisch. ­ Ja, ich unterschreibe. Das tu ich auch 10000 Mal am Tag. Mein Name muß wirklich überall stehen. ­ Aber eins ändert sich nicht: Hier ist der Haupteingang. Jeder, der einen Schlüssel braucht, muß hier durch.

Wie ist das Verhältnis zwischen der Hochschule und dem Kiez?

Ein Problem ist die alte Kaufhalle. Die Wohnungsbaugesellschaft hat sie der Schule solange zur Verfügung gestellt, bis sie abgerissen wird. Das war früher unsere DDR-Kaufhalle, nach der Wende war da Kaiser's oder etwas ähnliches drin, und jetzt wird es von uns genutzt. Vorwiegend Plastik-Studenten, die sich natürlich richtig auslassen. Die finden das super, aber die Leute, die hier wohnen, sind nicht so zufrieden. Ich kann das verstehen: Die 100jährige Mutter und der 80jährige Sohn sind nicht mehr in der Lage, bis zum nächsten Kaiser's so weit zu gehen, die wollen eine Kaufhalle in der Nähe. Und so, wie die Halle jetzt genutzt wird, sieht sie auch nicht sehr einladend aus, die Wände beschmiert, die Fenster offen, alles sieht so ein bißchen liederlich aus, wenn ich das mal so sagen darf. Außerdem beschweren sich die Anwohner, daß die Studenten die Parkplätze wegnehmen, und die lauten Parties, so kommt eins zum anderen.

Ich bekomme ja alles mit; jeder hier weiß, daß ich von der Hochschule bin. Wenn die mich auf dem Fahrrad sehen, halten sie mich an und sagen: Könnten Sie nicht mal mit dem Rektor sprechen, kann man da nicht mal was machen? Ich sage denen dann, daß ich schließlich nur ein Pförtner bin und auch nicht jeden Tag zum Rektor gehen kann. Aber natürlich hab ich ihm manchmal was gesteckt, auf die putzige Tour; man kann ja mit ihm reden. ­ Kunsthochschule Berlin, guten Tag? Könnten Sie uns das rüberfaxen? 47705290, dann können wir das vielleicht aushängen. 030 für Berlin. Danke auch, tschüß. ­ Der sagt dann, das ist eben Kunst, das muß man verstehen. Aber die Leute hier verstehen das eben nicht. Manchmal kommen sie und sehen sich um, aber so begeistert sind sie nicht.

Wohnen hier in der Gegend auch Studenten?

Einige schon. Ab und an vermittle ich Wohnungen: Wenn einer wegzieht, braucht er das gar nicht auszuhängen, meistens hab ich dann schon jemanden. Dafür hilft derjenige dann vielleicht bei meinem Mann in der Werkstatt. So läuft das hier. Und wenn die älteren Damen mal ihren Keller aufräumen, dann kommen sie einfach hierher: Ich hab da noch einen Fernseher. Da mach ich erst gar keinen Zettel, sondern spreche die Studenten an, gleich wenn sie reinkommen, ganz bestimmte Leute; ich sehe doch, wenn einer einen Fernseher braucht. ­ Da sind Sie ja wieder! Ich wußte nicht, was Sie wollen, und da waren Sie schon wieder weg. ­ Oder irgendwelche anderen Sachen: Couchgarnituren, Lederjacken, Plattenspieler, Fahrräder. Kann man alles brauchen, und hier fehlt es an nichts. ­ Ja, Sie stören, im wahrsten Sinne. Schlüssel 215? Ist schon weg.

Sie sehen: Die Leute von hier sind nicht so gut auf die Studenten zu sprechen, aber etwas helfen tun sie gern. ­ Einen Schraubenzieher? Ja, dort. ­ Der Kopierer ist heute dauernd kaputt. Den verwalten wir auch noch, das haben wir dem AStA versprochen.

Wie schätzen Sie angesichts der anstehenden Sparrunden die Zukunft der Kunsthochschule ein?

Es sieht schlecht aus, aber alle geben sich Mühe. Wobei ich in dem Punkt ein bißchen von den Studenten enttäuscht bin: Die könnten noch mehr Druck machen. Wir müssen das öffentlich machen, daß die Menschheit das sieht. Man sieht hier nichts, das habe ich heute auch dem Rektor gesagt. Es gab nur die Du-Aktion damals, als in der ganzen Stadt das „Du" auftauchte und später „Du sollst nicht an der Bildung sparen". Da haben mir die Studenten ein „Du"-Schild aus Holz ans Fahrrad gehangen, damit bin ich durch ganz Berlin gefahren. ­ Zu welchem Sekretariat möchten Sie denn? Wir haben fünf. Pressestelle? Immer geradeaus. ­ Aber man könnte viel mehr machen, Plakate, Aktionen, irgendwas.

Die ganze Stadt hängt voller Transparente gegen Sparmaßnahmen. Vielleicht liegt die Außenwirkung einer Kunsthochschule eher in ihrer Kunst, also darin, wie gut sie als Schule ist.

Das stimmt natürlich auch. Das erzähl ich den Leuten hier auch immer: Unterschätzt nicht die Studenten! Ihr würdet euch wundern, was manche für schöne Sachen machen. Das sind fantastisch gute Sachen, wir haben fantastisch gute Dozenten. Ich mach ja auch die Studienberatung, jetzt, wo Herr Gärtner so lange krank ist. Da habe ich gemerkt, wie die Studienanfänger reagieren, wenn sie das hier sehen.

Man muß das einfach mal sagen: Wir sind eine hervorragende Schule. Und sehr familiär. Im Prinzip kenne ich hier alle mit Namen. Das ist der Reiz dieser Schule.

Interview: Simone Schöler und Johannes Touché

 
 
 
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