Ausgabe 04 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Schöner unser Berlin ­ Berliner machen mit

Der Bildband Berlin-Weißensee als aufklärerisches Werk

In der Reihe „Bilder aus der DDR" des Erfurter Sutton Verlages erschien jüngst der Bildband Berlin-Weißensee von Joachim Bennewitz. Die Menschen und nicht – wie in vergleichbaren Veröffentlichungen über andere Stadtteile – die Häuserfassaden stehen im Mittelpunkt des Buches, behauptet der Autor in der Einleitung. Beim Durchblättern bekommt man streckenweise sogar den Eindruck, in Weißensee stünden fast gar keine Häuser – überall nur Wälder, Seen oder Wochenendausflügler in Parkanlagen. Das ist wohl Absicht, schließlich ist der Bezirk laut Herrn Bennewitz etwas Besonderes, „eine Mischung von Städtischem und Dörflichem, mit vielen Seen und Teichen, der Nähe zum Zentrum bei gleichzeitigem ,Fast-j.w.d-Sein'."

Hauptsächlich historische Aufnahmen aus der DDR-Vergangenheit sind in dem Band versammelt. Die größtenteils weder verwackelten noch unscharfen, dafür meist etwas kontrastarmen Fotos sind in sieben Kapitel aufgeteilt. Diese formale Ordnung kaschiert aber nur notdürftig, daß das Buch ohne erkennbares Konzept auskommt. Das hat durchaus seinen Reiz. So kann man sich im Kapitel „Auf den Straßen" von Bildern überraschen lassen, auf denen weit und breit keine Straße zu sehen ist. Dieses Kapitel gehört noch zu den interessantesten in dem Band. Hier finden sich ländlich anmutende Aufnahmen des Hohenschönhauser Weges oder der Hansastraße vor deren Bebauung, Bilder von frisch bezogenen Neubauten oder von Sprengungen, auf denen man nur eine große Staubwolke erkennen kann.

Der Abschnitt „Bei der Arbeit gesehen" ist zumindest gut gemeint. Hier werden die sonst kaum wahrgenommenen Hauptakteusen des alljährlichen Weißenseer Blumenfestes aus dem Hintergrund geholt und ins Rampenlicht gestellt. Bei der Arbeit kann man sie allerdings nicht sehen, sondern beim Posieren. Bennewitz gibt sich in diesem Kapitel erfreulich wenig Mühe, Authentizität zu heucheln. Statt Aufnahmen vom Arbeitsalltag zeigt er solche von Grundsteinlegungen. Besonders gelungen ist das Foto auf Seite 36, auf dem unter anderem eine Art Arbeiterdenkmal mit Spitzhacke in die Kamera lächelt.

Den meisten Raum aber nehmen die Kapitel „Im grünen Weißensee" und „Feste und Spiele" ein. Es sind gleichzeitig auch die schlimmsten des Buches. Neben planschenden Kindern, debil grinsenden Blumenköniginnen und haufenweise trügerischer Idylle findet sich hier eine ganze Bildserie zu der Aktion „Wir machen unseren Höfen den Hof" aus den achtziger Jahren. Gezeigt werden einige mit der „Goldenen Hausnummer" ausgezeichnete Gartenanlagen, wie man sie auch in Fachzeitschriften für Gartenfreunde finden kann. Zu der Abbildung eines leicht mit den Blumenschauen auf den Folgeseiten zu verwechselnden Hofes schreibt Joachim Bennewitz: „Ausgezeichnete Lösung der Aufgabe, den Hof zu gestalten: Haus Smetanastraße 16." Die Bildunterschriften haben ihre eigene Klasse.

Berlin-Weißensee ist sicherlich als aufklärerisches Werk gemeint. Wer nach seiner Durchsicht den Drang nach etwas mehr Grün als in seiner Friedrichshainer Hinterhofbuchte verspürt, wird ganz bestimmt nicht auf die Idee kommen, danach ausgerechnet in dieser halbgaren Vorstadthölle zu suchen, sondern gleich ganz aufs Land ziehen oder sich eine Yucca-Palme zulegen. Vielleicht sollte man für diese Erkenntnis nicht unbedingt 18 Euro verschleudern.

Dirk Rudolph

> Joachim Bennewitz:
Berlin-Weißensee. Sutton Verlag,
Erfurt 2003. 17,90 Euro

 
 
 
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