Ausgabe 04 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Höllenfahrt

Bahman Ghobadis Verloren im Irak

Die Landschaft ist karg. Sand und Berge bestimmen das Bild. Die Sonne brennt von einem erbarmungslos blauen Himmel. Auf einem Laster ist eine Gruppe von Männern unterwegs durch den nördlichen Iran, Anfang der neunziger Jahre. Sie sind Kurden auf dem Weg nach Hause in ihre Dörfer. Einer ist Arzt und lobt demonstrativ Saddam Hussein, der Flüchtlinge wegen, die häufig krank sind und ihm somit Arbeit verschaffen. Ein anderer ist Barat, der Musiker, auf dem Weg zu seinem Vater Mirza, der ihn um Hilfe bitten will.

Barat hat seinen ganzen Stolz, das rote Motorrad mit Seitenwagen, dabei, der einzige Farbfleck in der Wüsten-Szenerie. Endlich am Ziel angekommen, bittet ihn sein Vater, ihm bei der Suche nach seiner Ex-Frau behilflich zu sein, die irgendwo im Irak in Schwierigkeiten stecken soll. Der Bruder wird auch noch überredet, und so gehen die drei auf eine lange und gefährliche Reise.

Die Weg ist nicht weit, jedoch wissen sie nicht, wo sie suchen sollen: Briefe können nur persönlich abgegeben werden, auch Telefone gibt es nicht. Und nicht nur die Kommunikation erscheint altertümlich. Aus Furcht vor erneuten Luftangriffen leben ganze Dörfer unterirdisch.

Das sind die Gegebenheiten, die Bahman Ghobadi in seinem preisgekrönten Film Verloren im Irak zeigt. Er ist seit seinem vielbeachteten Spielfilmdebüt Die Zeit der trunkenen Pferde kein Unbekannter mehr. Der Regisseur zeigt quasi im Vorbeifahren, wie zerrissen Kurdistan ist, dieses Land, das es eigentlich nicht gibt. Der Untertitel „Songs of my Motherland" unterstreicht das nur. Nicht zufällig schickt er also ein Musikertrio auf Reisen, denn trotz oder gerade wegen der Umstände werden noch Hochzeiten und andere Feste gefeiert. Man kennt das Musikertrio. Und selbst nachdem die drei von angeblichen Polizisten ihres ganzen Besitzes beraubt werden, finden sich immer ein Ersatzinstrument und Menschen, die Musik hören wollen.

Auf ihrer Reise begegnen die drei den verschiedensten Gestalten. Der Arzt scheint überall zu sein. Inzwischen ebenfalls ausgeraubt, verflucht er Saddam Hussein und verkauft Medizin gegen die angebliche Eselseuche AIDS; zwei beklaute Polizisten in Unterhosen haben jede Autorität verloren.

Trotz der widrigen Umstände findet sich noch Zeit für Zwischenmenschliches: Der immer coole, sonnenbebrillte Barat scheint endlich eine Frau gefunden zu haben. Sein Bruder wird zwei Jungen aus einem Waisenhaus adoptieren, denn er ist mit sieben Frauen und dreizehn Töchtern geschlagen.

Die Wege der drei trennen sich. Barat findet letzten Endes die Ex-Frau des Vaters, Hanareh, in der verschneiten Bergeinöde eines anderen Flüchtlingslagers. Sie hat eine Tochter und möchte diese der Familie des Ex-Mannes anvertrauen. Einst war sie eine erfolgreiche und schöne Sängerin; nun hat Giftgas ihr Gesicht und ihre Stimme zerstört. Wie diese Frauen sich in der verschneiten Einöde in ihren schwarzen Gewändern bewegen, hat etwas Antikes, die Geschichte wirkt wie die Höllenfahrt eines kurdischen Orpheus. Als Barat endlich zusammen mit dem Mädchen die Grenze erreicht und durch den Stacheldraht kriecht, ist man fast bereit zu glauben, daß alles gut wird.

Ghobadi schafft es dank der Musik und der skurrilen Nebenfiguren, eine Mischung zwischen Mit- und Wohlgefühl beim Zuschauer entstehen zu lassen. Man versteht zwar immer noch nicht, was in diesem seltsamen Zwischenland passiert und warum, glaubt aber, die Menschen ein wenig zu kennen: Menschen, die ihre Lebenslust und ihren Humor nicht verloren haben. Ohne das wären die Verhältnisse auch kaum auszuhalten.

Ingrid Beerbaum

> „Verloren im Irak" von Bahman Ghobadi kommt am 29.05. in die Kinos.

 
 
 
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