Ausgabe 04 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Blick nach vorn durch den Rückspiegel

Westperspektive Ost: Stefan Maelck führt auf den Ost Highway

Dieser Krimi spielt im Osten. In Halle, der ehemaligen Bezirkshauptstadt, heute irgendwo in Sachsen-Anhalt. Immerhin, ein Funkhaus gibt es, und dort geschieht ein Mord. Ein Slip oder, wie wir früher sagten, Schlüpfer, taucht als Strangulierungswerkzeug auf. Das wird sich wiederholen. Ein Privatdetektiv wird mit hineingezogen; ebenso ein ermittelnder Kommissar. Man kennt sich. Die Provinz läßt grüßen. Die Stasi läßt nicht lange auf sich warten, zumindest ihr Filz und ihre Geschichten. Im Funkhaus ist man gerade wieder mal am IM-Enttarnen. Die Jagd nach dem Motiv und dem Täter ist eröffnet. Sie wird uns nach Berlin, Leipzig, Dresden, New Orleans und zurück führen. Es wird viel getrunken. Am Ende kommt es anders als gedacht. So what? So gut.

Hier liegt ein Krimi vor, dessen Lesespaß sich weniger aus dem Mitfiebern mit den Protagonisten und dem Privatdetektiv Hank Meyer vermittelt und auch nicht aus dem Enträtseln eines infragekommenden Täters und dessen Mordmotivs. Der Spaß ist auf ganz anderem Feld und dafür, wer's mag, umso genußvoller zu finden.

Der Autor schafft sich in der Person des Detektivs, den er aus dem Westen kommen und in Halle stranden läßt, einen Ich-Erzähler, der ihm eine gehörige Distanz zu den Verhältnissen ermöglicht. Der alltägliche Osten wird durch diese ihm ausgelieferte Person unaufhörlich weil unausweichlich aufs Korn genommen. Dies scheint legitim, weil Stefan Maelck, ein ostdeutscher Autor, weiß, wovon er schreibt. Die Dialoge sind zugespitzt, die Haltung politisch inkorrekt. Rüde Wortattacken und launige Formulierungen zerplatzen auf dem Sprelacart, daß es nur so eine Freude ist. Daß dabei der Likör immer noch die Tasse Kaffee ersetzt, liegt auf der Hand. Der Blick nach vorn ist der durch den Rückspiegel.

Der Befriedigung von Wehmut und Heimweh wird in der Hallenser Gastronomie Genüge getan. Die allwöchentlich stattfindende Veranstaltung „ScheißOsten" ist immer gut besucht. Dort finden sich auch unsere Protagonisten wieder. Ein Kaleidoskop von Allzubekanntem. Kein Klischee wird ausgelassen. Das Lachen ist ein befreiendes und gleichzeitig voller Vermouth. Der Osten als ein merkwürdiges Zwischenstadium auf dem Weg nach Wer-weiß-wohin. In Demutshaltung werden die heftigsten Tiraden ausgehalten, ja ausgekostet. Dies ist ein bissiger Zugriff auf Wirklichkeit. Sie ist wohl auch danach. Es ist zu vermuten, daß sie mehr erlebt denn erfunden ist.

Der New Orleans-Teil gerät allzusehr zum Ausflug, die Erzählweise darin zum Touristenführer. Hier wird im Grunde Wissen vorgeführt. Erst im Ungleichgewicht zum ersten Teil wird das auffällig ­ ein wenig eitel und unnötig. Doch der Weg führt uns folgerichtig zurück in den Osten. Hier läuft der Autor nicht Gefahr, Bewunderung in Beschaulichkeit kippen zu lassen.

Eine ganz andere, wichtige Stimmung in diesem Buch ist die Musik. Der Teilzeitdetektiv und lonesome cowboy, eigentlich betraut mit einer eigenen, kleinen, feinen Sendung am Mitteldeutschen Rundfunk und bekennender Country- und Rockmusik-Fan, sprüht vor Zitaten und Bezügen seiner Idole und favourites. Das macht Freude beim Lesen, bietet Querverbindungen, gibt Rätsel auf und schafft eine imaginäre Heimat. Hieran kann man teilhaben. Hier möchte man sich gern ins Gespräch begeben, dort nachfragen, auch widersprechen, eigentlich die CD aus dem Buch ziehen und auflegen: den Soundtrack eben. Man könnte dem Song, der längst zur ewigen Ballade mutiert ist, Raum geben und, wenn das Selbstmitleid zu groß wird, weiterzappen, leiser stellen oder ausschalten.

Im Resümee läßt der Titel des Buches eher an Lost Generation erinnern denn an Lost Highway (letzteres lasen wir natürlich schon verwundert mit). Hier hat der Autor wohl einer privaten Bewunderung Raum gegeben (jedoch nichts von Parallelwelten, keine Angstprojektionen wie bei David Lynch) und – nicht von der Hand zu weisen – seinem Wunsch nach Verfilmung. Vielleicht bekomme ich dann zu sehen, was mir beim Lesen Rätsel aufgab, nämlich: Wie kriegt eine Frau im Ausfallschritt ihren Slip herunter (oder war's 'ne Dreiecksbadehose?)?

Uwe Warnke

> Stefan Maelck: Ost Highway. Ein Hank-Meyer-Roman.
Rowohlt Berlin 2003. 16,90 Euro

 
 
 
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