Ausgabe 04 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Berlin, Manchester, Leipzig...

Eine Olympiabewerbung kann auch erfolgreich scheitern

Wer erinnert sich noch? Es ist schon zehn Jahre her: „And the winner is ... Sydney!" Der kollektive Jubelschrei auf den vielen NOlympia-Parties wiederholte sich noch einmal, als die genauen Ergebnisse der Abstimmung des IOC bekannt gegeben wurden. Berlin war nicht nur weit hinter Sydney und Peking, sondern sogar hinter die nordenglische Stadt Manchester gefallen. Man freute sich über den Dämpfer für die Berliner Stadtgewaltigen, die die Stadt in großkotzigen Visionen ständig zur Weltmetropole ausriefen. Aber leider brachte erst die Banken- und Immobilienkrise acht Jahre danach die Stadt zurück auf den Boden der Realität. Erst jetzt sind wir langsam dabei zu begreifen, wie hoch die Zeche in Wirklichkeit ist, die die Stadt für die Traumwelt der neunziger Jahre zu zahlen hat, in der die Bewerbung um die Olympischen Spiele des Jahres 2000 nur ein früher Höhepunkt war.

Und jetzt jubelt eine ganze Stadt frenetisch, wenn der Bundeskanzler ihren Namen in die Kamera spricht: Leipzig hat das Rennen um die deutsche Bewerbung für Olympia 2012 gewonnen. Ausgerechnet Leipzig, das Zentrum einer von Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit und Abwanderung geprägten Region, in der schon groß gefeiert wird, wenn ein Automobilkonzern dank massivster Subvention eine Werkbank errichtet? Glaubt man da unten wirklich, daß eine Olympiabewerbung die Solidarität der deutschen Wirtschaft mobilisiert und so die lang versprochenen blühenden Landschaften realisiert?

Ein Vergleich drängt sich auf: Auch Manchester ist das Zentrum einer europäischen Armutsregion im Schatten der wirtschaftlichen Entwicklung, die sich in England ja vornehmlich im Süden abspielt. Auch Manchester verliert kontinuierlich Bevölkerung. Auch Manchester hat sich vergeblich um Olympia beworben.

Aber ganz im Gegensatz zu Berlin wird heute in Manchester diese Bewerbung als Gewinn betrachtet. Manchester erlebte nämlich in den neunziger Jahren einen deutlichen Aufschwung. Im Zentrum der Stadt wurde erheblich investiert, die Arbeitslosigkeit ging zurück, der Flughafen von Manchester ist heute sogar der am stärksten wachsende Englands. Zu Beginn dieses Jahres erhob sich in der Stadt ein Sturm der Entrüstung, als die offiziellen Ergebnisse des britischen Census 2001 veröffentlicht wurden. Nach diesen schrumpft die Bevölkerung Manchesters immer noch, wenn auch weniger stark als etwa in den 80er Jahren. In der Wahrnehmung vieler Stadtbewohner dagegen hat sie sich eindeutig revitalisiert. Allerdings betrifft dies vor allem die Innenstadt, die in den Neunzigern eindeutig zum kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum Nordenglands aufgestiegen ist. Die leerstehenden Straßenzüge in gar nicht so weit entfernten alten Arbeitervierteln werden dagegen aus dem Gesichtsfeld ausgeblendet.

Es ist also vor allem das Selbstbild, das sich in den Neunzigern ins Positive gewandelt hat. Die Ursachen für diesen Wandel sind vielfältig ­ auch die Olympiabewerbung gehört dazu. In derem Zuge sind realistische Entwicklungskonzepte für die Stadt umgesetzt worden, die schließlich auch aufgingen. So legte sich die Stadt ein hochmodernes, schnelles Straßenbahnsystem zu und verfügt damit heute über ein effektives Nahverkehrssystem, das die Innenstadt mit dem Umland verbindet. Aber fast noch wichtiger als die gelungene Stadtplanung waren die kulturellen Bewegungen, die in der Stadt Raum fanden und sie prägten. Zu Beginn der neunziger Jahre entwickelte sich Manchester zum Zentrum einer unabhängigen Musikindustrie. In leeren Fabrikhallen eröffneten legendäre Clubs, in alte Lagerhäuser zogen Studios und Plattenfirmen. Heute sind diese Clubs freilich zum Teil abgerissen und mit Apartment-Palästen für begüterte Urbaniten bebaut, die nur noch dem Namen nach an die wilde Jugendkultur der Neunziger erinnern.

Zudem entwickelte sich Manchester zum Zentrum der Schwulen- und Lesbenbewegung. Wichtiger noch als das „pink capital", das in diesem Zusammenhang in die Stadt strömte, war dabei der Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung der Stadt. Bilder von bunten und provozierenden schwul-lesbischen Paraden traten an die Stelle der Bilder marodierender Fußballfans. Manchesters Image wandelte sich von dem einer heruntergekommenen ehemaligen Arbeiterstadt in das einer liberalen und weltoffenen Handelsstadt ­ zu einem Ort mit urbanen Reizen also, der dem kulturellen Übergewicht Londons zumindest in einigen Bereichen Paroli bieten kann. Zumal das Leben in Manchester deutlich billiger ist. Gelöst sind die Probleme Manchesters ­ Armut, Arbeitslosigkeit, Kriminalität und die soziale und ethnische Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen zum Beispiel ­ dadurch noch lange nicht.

Das Beispiel Manchester zeigt jedoch, daß eine Olympiabewerbung nicht zwangsläufig in einer Katastrophe für die Stadt enden muß. Voraussetzung ist allerdings eine realistische und nicht in albernen Visionen verfangene Stadtplanung; eine Planung also, die vom Ist-Zustand ausgeht und nicht von einem Traumbild. Das wäre Leipzig zu wünschen. Das Beispiel zeigt aber auch, daß geschickte Stadtplanung und -politik alleine nicht ausreicht, um einen Stimmungswandel herbeizuführen. Dazu gehört auch eine Offenheit gegenüber kulturellen und sozialen Bewegungen, die eine Stadt attraktiv machen können. Der entscheidende Vorteil, den Manchester zu Beginn der neunziger Jahre hatte, war das Vorhandensein billiger und ungenutzter Räume, die sich die Subkultur nach und nach aneignen konnte. Diesen Vorteil hat Leipzig auch. Fraglich ist allerdings, ob unter den spezifischen Bedingungen hierzulande ein ähnlich erfolgreiches Scheitern der Olympiabewerbung möglich sein kann. Der Schub in der öffentlichen Wahrnehmung, den die Stadt jetzt zweifellos erfährt, könnte sich schließlich auch nachteilig auswirken. Dann etwa, wenn die Immobilienwirtschaft der Stadt in Spekulation auf eine steigende Nachfrage den vorhandenen Leerraum blokkiert und somit die subkulturelle Aneignung verhindert.

Christof Schaffelder

> Der Autor war während der NOlympia-Bewegung einer der Sprecher des Aktionsbündnisses „Wir Bleiben Alle (W.B.A.)" in Prenzlauer Berg und Mitte.

 
 
 
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