Ausgabe 03 - 2003

berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Anlaufstelle für Automüde

Karl-Heinz Ludewig über die Initiativen von FUSS e.V.

Auto hin, Bequemlichkeit her. Wer in Berlin mit offenen Augen durchs Leben läuft oder fährt, wird sich der problematischen Verkehrssituation bewußt sein: Baustellen an jeder Ecke, Blechlawinen, die sich langsam die Straßen entlangschieben, Lärmbelästigung, Smog etc. Hinzu kommen millionenschwere Projekte von Bund und Ländern, die eine Umorientierung auf umwelt- und sozialverträgliche Verkehrsmittel erschweren oder sogar verhindern. Für alle, die diese Situation nicht länger ignorieren wollen, gibt es ideelle und praktische Unterstützung von FUSS e.V.

Zu Zeiten der stadtautobahnwütigen Verkehrspolitik der Achtziger aus einer Bürgerinitiative entstanden, teilt sich FUSS e.V. seither ein Büro mit dem UMKEHR e.V., ein seit 1978 bestehender bundesweiter Dachverband für Verkehr und Umwelt, der nicht nur Beratungen anbietet, sondern auch erste Aktionshilfe leistet. Während sich jedoch UMKEHR e.V. mit allen Bereichen des Verkehrs befaßt, setzt sich FUSS e.V. speziell für die Belange der Fußgänger und deren Beweglichkeit im Stadt- und Regionalverkehr ein.

Wir haben Karl-Heinz Ludewig, einem der sechs Mitarbeiter der Bürogemeinschaft von UMKEHR-FUSS e.V., befragt.

Was ist die Zielstellung Ihrer Arbeit?

Genau genommen sind wir ­ auch bundesweit ­ eine erste Kontaktstelle für Bürger und Bürgerinitiativen, die sich über Alternativen zur Verkehrspolitik informieren oder darin aktiv werden wollen. Von uns können sie Kontakte, Adressen, Literatur zum Thema, sowie Informationen zu Veranstaltungen, Ausstellungen und Aktionen bekommen. Wir sind aber nicht nur eine Serviceeinrichtung, sondern wollen die verschiedenen Initiativen miteinander vernetzen und auch auf politischer Ebene ein Sprachrohr ihrer Interessen sein. Außerdem arbeiten wir mit Senaten und anderen Organisationen an der Planung und Durchführung verschiedener Projekte und organisieren Kongresse, die ein Diskussions- und Aktionsforum bilden sollen für weitere Maßnahmen.

Mit welchem Projekt beschäftigt sich FUSS e.V. zur Zeit?

Aktuell ist die Entwicklung eines Leitfadens für die Verbesserung des Freizeitverkehrs in Arbeit. Dabei geht es im besonderen um die ÖPNV-Anbindung von Wanderwegen in Berlin/Brandenburg, also wie man bequem und schnell mit öffentlichen Verkehrsmitteln ins Umland kommt, um dort spazieren oder wandern zu gehen. Dieses Projekt wird vom Umweltministerium gefördert, und bis Ende April wird dem Minister ein erster Bericht vorliegen.

Was wird mit diesem Bericht weiter passieren?

Die Förderung schließt die Entwicklung und den Vertrieb von speziellen Wanderkarten und Flyern ein, die in unserem Verlag hergestellt werden. Dies gilt aber nur für eine erste Edition. Ob sich weitere aktualisierte Ausgaben rechnen werden, wird sich zeigen. Zur Zeit erstellen wir eine Adreßliste von Ärzten, bei denen wir mit unserem Material für das Laufen werben wollen. Denn Laufen ist ja bekanntermaßen gesund, besonders wenn man dabei die Schönheit Brandenburgs genießen kann.

Sie bewegen sich damit ja in die Bereiche Tourismus- und Gesundheitsförderung hinein. Ist das beabsichtigt?

Natürlich bleiben Berührungen mit anderen sozialen und politischen Bereichen nicht aus. Wenn unser Projekt eine positive Wirkung auf die Freizeit- und Urlaubssituation Brandenburgs hat, ist das ein toller Nebeneffekt. Mit der Gesundheitsthematik beschäftigen wir uns sowieso, deswegen ist auch das Thema unserer nächsten Tagung im Oktober in Berlin: „Gesundheit und Gehen".

Welche Lösungsansätze schlagen Sie für die Berliner Verkehrssituation vor, um eine Umverteilung des Autoverkehrs auf ÖPNV, Fuß und Fahrrad zu erreichen?

Wir verfolgen seit einiger Zeit die Entwicklung der Verkehrspolitik in Großbritannien. Dort wurde eine „Congestion Charge" in London eingeführt, d.h. jeder, der mit dem Auto in die Stadt fahren möchte, muß fünf Pfund bezahlen. Dieses Geld wiederum soll zur Finanzierung der Instandsetzung und Verbesserung von öffentlichen Verkehrsmitteln benutzt werden. Wir möchten ein ähnliches Konzept für Berlin entwickeln, damit Berlins Bevölkerung wieder öfter das Auto stehen läßt und stattdessen Busse und Bahnen benutzt.

Denken Sie nicht, daß das etwas überzogen ist?

Ehrlich gesagt nein. Genausowenig wie die Erhöhung des Benzinpreises um das Drei- oder Vierfache, wie es die Grünen in ihrem Wahlkampf vor einigen Jahren gefordert haben. Bedenkt man, wie viele Kosten durch den Autoverkehr anfallen, und dabei geht es nicht nur um Straßenbau, sondern auch um die Milliarden, die jährlich wegen Gesundheitsschäden in Folge von Unfällen, Lärm- und Luftbelastung anfallen, kann man eine einfache Rechnung aufstellen, aus der sich ergibt, daß jeder Verkehrsteilnehmer (auch Fußgänger, Radfahrer und BVG-Benutzer) pro Tag ungefähr drei Euro für den Autoverkehr und seine Folgen bezahlt. Das nenne ich überzogen!

Interview: Inga von Kurnatowski

> Weitere Infos unter: www.fuss-ev.de oder www.umkehr.de.

 
 
 
Ausgabe 03 - 2003 © scheinschlag 2003