Ausgabe 03 - 2003

berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Noch muß kein Pinsel austrocknen

Elitäres Kunstdenken versus mittelfristige Standortpolitik. Auf diese simple Formel kann man fast jede Diskussion über Finanzentscheidungen im Berliner Kulturbereich bringen. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die Kultur für ein zusätzliches Plus, eine zusätzliche Serviceleistung halten, auf der anderen diejenigen, die darin einen sozial, künstlerisch und wirtschaftlich relevanten Standortfaktor sehen. Die einen wollen in Zeiten leerer Kassen an der Kultur sparen, die anderen sie gerade dann langfristig fördern und sichern.

Sehr deutlich zeigte dies jüngst die Diskussion um das Ateliersofortprogramm. Trotz zahlreicher Proteste aus Kultur und Wissenschaft wurde es gerade um 100000 Euro gekürzt. Die Folgen für die Arbeitsbedingungen der in Berlin lebenden Künstler sind verheerend.

Das Programm fördert zeitgenössische bildende Kunst in Berlin. Es stellt ein kostengünstiges und strukturiertes Mindestangebot an Arbeitsräumen für Künstler sicher. Durch finanzielle Unterstützung werden die Mieten auf ein bezahlbares Niveau gebracht. Ein unabhängiger Beirat vergibt die Ateliers öffentlich an professionelle Künstler mit dringendem Bedarf, geringem Einkommen und in Notlagen. Das ist sehr effektiv: Bei nur fünf Prozent Verwaltungskosten kommen der Raumförderung 95 Prozent (!) der Fördersumme direkt zugute. 280 Räume sind im Programm. Viele Künstler sind auf Hilfe angewiesen, da ihre Einkommen häufig sehr niedrig und großen Schwankungen unterworfen sind. 15 Prozent der Künstler haben überhaupt kein darstellbares Einkommen, die meisten etwa 500 bis 700 Euro. Räume auf dem freien Gewerbeflächenmarkt zu bekommen, ist unter diesen Bedingungen illusorisch.

Ein aktuelles Beispiel: Die Ateliergemeinschaft Milchhof muß ihr Gelände in der Anklamer Straße räumen, wo eine Turnhalle entstehen soll. 40 Künstlerarbeitsplätze sind betroffen. Ein leerstehendes Kirchengebäude wäre preiswert zu bekommen, allerdings nur, wenn auch Fördermittel aus dem Ateliersofortprogramm aufgewendet werden. Ansonsten droht ihnen eine wochenweise Zwischennutzung oder ein ungeeigneter Plattenbau.

Der Senat verkennt die strategische Bedeutung des Programms: Die Erfahrung zeigt, daß das vergleichsweise geringe Förderangebot ein Vielfaches an privaten Investitionen ermöglicht. Häufig sind private Investoren nämlich nur dann zum Engagement bereit, wenn auch die Stadt dazugibt. Eine Kürzung schadet also nachhaltig dem künstlerischen Ansehen der Stadt.

Direkt nach dem Kürzungsbeschluß, bei der nicht einmal die zuständige Fachabteilung gefragt wurde, gab es beruhigende Nachrichten: Der kulturpolitische Sprecher Wolfgang Brauer erklärte, daß die Absenkung des Ateliersofortprogramms durch Mehreinnahmen im Kulturetat ausgeglichen werde. Es sollen die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit kein Atelier geschlossen und kein Vertrag gekündigt werden muß. Kein Pinsel, so Brauer, müsse austrocknen.

Ob dies mittel- und langfristig sicherstellt, daß in Berlin auch nicht-etablierte Künstler ihrer Arbeit nachgehen können, muß sich noch zeigen. Denn realistisch betrachtet sind die Zukunftsaussichten düster: Der Verdrängungsdruck auf die Kultur nimmt – gerade in Mitte, aber nicht nur dort – zu, und der Kampf um die Gelder für 2004/05 beginnt im Herbst. Dann wird man sehen, ob den Worten der Verantwortlichen Taten folgen.

Alexander Hollensteiner

 
 
 
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