Ausgabe 03 - 2003

berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Hungerstreik als Knastalltag

In Grünau ist keine Besserung der Lage in Sicht

„Wenn man im Köpenicker Abschiebeknast in der Grünauer Straße sitzt, und eine Schar Wildgänse fliegt – aus Sibirien kommend – über das Gefängnis nach Südwesten, dann ist es hier besonders gemein. Zur einen Seite blicken die Gefangenen auf die Dahme, wo man am anderen Ufer Villen mit großen Gärten sieht, gelegentlich fährt ein Schiff auf dem Fluß vorbei." So beschrieb die Schriftstellerin Ekaterina Beliaeva die Umgebung des Berliner Abschiebegefängnisses Grünau aus der Perspektive der Häftlinge. Ca. 5000 Menschen werden hier jährlich eingesperrt – allein deshalb, weil sie in Deutschland leben wollen, ohne die dafür vorgeschriebenen Dokumente zu besitzen.

Schon vor seiner Inbetriebnahme machte das Gefängnis Schlagzeilen. Der Rohbau sollte am 11. April 1995 in die Luft gesprengt werden. Doch die Aktion scheiterte, weil die bis dahin unbekannte Gruppe mit dem Namen Das K.O.M.I.T.E.E. bei der Tatausführung gestört wurde. Ein Fahrzeug und die für die Sprengung notwendigen Utensilien wurden in der Nähe des Gefängnisrohbaus gefunden. Mehrere Männer aus der Berliner Autonomen-Szene wurden von der Justiz wegen der Aktion zur Fahndung ausgeschrieben.

Das ehemalige DDR-Frauengefängnis wurde im Jahre 1997 offiziell zum Abschiebeknast umgewidmet. Proteste der Insassen gab es von Beginn an und im Laufe der Zeit in zunehmendem Ausmaß. Der Berliner Flüchtlingsrat schrieb am 9. Mai 2000 in einer Presseerklärung: „Hungerstreiks, die es in den vergangenen Jahren vereinzelt und relativ selten in den Berliner Abschiebegefängnissen gab, sind jetzt eine ständige Begleiterscheinung des Gefängnisalltags." Schon damals war eine Isolierstation im 2. Stock des Hauses 2 im Männergefängnis extra für die hungerstreikenden Häftlinge eingerichtet worden. Sie war stets überfüllt. Auch andere Verzweiflungsakte der Gefangenen kamen immer wieder an die Öffentlichkeit. So setzte ein algerischer Häftling Mitte April 2000 seine Zelle in Brand.

Nach dem Abgang des CDU-Hardliners Jörg Schönbohm gab es unter seinem sozialdemokratischen Nachfolger Ehrhart Körting nicht die von vielen Häftlingen und antirassistischen Gruppen erhoffte Liberalisierung. Auch Körting beruft sich auf die Beschlüsse der Bundesinnenministerkonferenz und lehnt einen Berliner Alleingang in Sachen Liberalisierung ab. Dieses Verhalten schürt die Proteste und den Widerstand. Seit am 20. Januar 2003 60 Häftlinge einen unbefristeten Hungerstreik gegen inhumane Haftbedingungen und die lange Haftdauer begannen, hat der Widerstand der Gefängnisinsassen nicht nachgelassen. Körting freute sich zu früh, als er Ende Januar die Beendigung des Hungerstreiks ankündigte.Tatsächlich hatte ein großer Teil der Häftlinge die Aktion nach vagen Zusagen von Körting ausgesetzt. Sechs Gefangene allerdings setzten ihren Hungerstreik fort. Erste Selbstmordversuche und Selbstverstümmelungen wurden gemeldet.

Mitte Februar wendeten sich ca. 40 inhaftierte Frauen in einem offenen Brief an die Öffentlichkeit. Sie fordern unter anderem die Freilassung von schwangeren und kranken Frauen, ein Ende der Willkür von Wärtern und Wärterinnen und beklagen die unhygienischen Zustände bei den sanitären Anlagen. Am 15. Februar verschärfte sich die Situation durch den Selbstmordversuch eines 31jährigen russischen Häftlings. Seit acht Monaten ist er inhaftiert; seit dem 20. Januar ist er im Hungerstreik. Er wollte sich in der Kochnische seiner Zelle erhängen und wurde in letzter Minute von Mithäftlingen gefunden. Schon wenige Stunden später wurde er trotz schwerer Verletzungen aus dem Krankenhaus in die Zelle zurückverlegt. Am 10. Februar schließlich haben auch die übrigen Gefangenen ihren Hungerstreik wieder aufgenommen, weil keine von Körtings Zusagen erfüllt wurde. Nicht die geringsten Verbesserungen wurden umgesetzt.

Peter Nowak

 
 
 
Ausgabe 03 - 2003 © scheinschlag 2003