Ausgabe 2 - 2003 berliner stadtzeitung
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Blume, Pinguin und Garten

Zur Situation der freien Radio-Szene in Berlin

Oft, wenn wir Vorgänge beschreiben wollen, die noch nicht abzusehen sind, weil sie irgendwann in der Zukunft liegen, bedienen wir uns einer Metapher – eines Bildes, das den Vorgang, den wir kaum fassen können, zur Anschauung bringt. Im Versuch einer irgend gemeinsamen Vorstellung.

Als im vergangenen August Wolf Kahlen (Ruine der Künste) auf RADIORAMA, einer Veranstaltung von radiokampagne.de und bootlab.org, um ein solches Bild für ein zukünftiges, unabhängiges Radio in Berlin gebeten wurde, gab er eine beziehungsreiche Antwort: „Ich stelle mir das Radio vor ­ als eine Blume. Eine kleine Pflanze, die Förderung und Pþege braucht, damit sie gedeihen, oder überhaupt: die keimen muß, bevor sie treiben kann." Soweit die Metapher.

Mittlerweile sendet seit Oktober letzten Jahres twen-fm, das ehemalige Piratenradio, auf der Kabelfrequenz des OKB; acht Stunden täglich, Schwerpunkt: DJ-ing.

Eine bemerkenswerte Entwicklung. Nur eben noch lange kein freies Radio. Allenfalls sein Kern. Denn freies Radio hieße: eine Frequenz, deren Betreiber sich für das interessieren, was dieses Radio produziert; Gestaltung jedoch ist Offenen Kanälen fremd. Sie organisieren einen Betrieb, gegen dessen Akteure sie sich gleichgültig verhalten. Sie sind nicht frei, sie dulden.

In Berlin allerdings unter erschwerenden Vorzeichen. So wurde etwa dem Ansinnen des Bootlab, den Sendebetrieb über das Internet abzuwickeln, nur widerwillig entsprochen. Warum denn Internet? Das war man nicht gewohnt. Und erst recht war man nicht gewohnt, die innovative Dimension dieses Vorhabens zu sehen: den LINUX-Ansatz des twen-fm/bootlab-Projekts. Der stream zum OKB wird bereits in ogg-vorbis codiert, einem Format, das (Audio)Daten komprimiert. Nur eben handelt es sich um eine GNU-lizensierte open source software. Angesichts der zunehmend verschärften Urheberrechts-Gesetzgebung, insbesondere gegenüber der privaten und nicht-kommerziellen Kopie, ein geradezu weiser Ansatz: vom Sprengen des Gartens (Brecht). Ein Pinguin als Gärtner.

Dabei entspricht die Konversion der Medien Radio und Internet, wie sie das Bootlab in Berlin verfolgt, einer bundes-, ja: weltweiten Tendenz. resonance-fm in London etwa bezieht bereits eine Fülle von Beiträgen über das latent größte Rundfunkarchiv der Welt; und auch in den deutschsprachigen Ländern hat der Bundesverband Freier Radios (BFR) mit freieradios.net und zip-fm Möglichkeiten geschaffen, wie freie Radios aufwendig produzierte Sendungen austauschen können.

Im Bootlab geht es also nicht um ein Internet-Radio, dessen Ökonomie nur kleine Usergruppen erlaubte, sondern es geht hier um die sinnvolle Nutzung zweier Ressourcen, um Internet und Radio. Um den Versuch, die Vorzüge beider Medien zu vereinigen. Mit dem Anspruch einer Netzwerkfunktion gegenüber der Vielfalt der Gruppen, Crews, Labels und Vereine der Stadt. Mit dem Ziel einer Demokratisierung des Mediums Radio, einer partizipatorischen Praxis.

Nun, es gibt twen-fm und das Radioprojekt des Bootlab. Und es gibt, nach wie vor, die radiokampagne, die im Herbst Mitglied des BFR geworden war und mit dem PAPER eine erste Skizze für ein freies Radio in Berlin vorgelegt hat. Leitmotive dieses Konzeptpapiers sind Vielfalt und Hörbarkeit, der Begriff der Netzwerkfunktion und der Ansatz einer Arbeit mit Sendemodulen und Hörmodellen.

Im November gab es zudem ein Radiofestival von radiokampagne.de im Acud ­ und vor kurzem die dreitausendste Unterschrift auf der Online-Petition. Die Sache ist klar: Berlin braucht ein freies Radio.

w.lms

> www.bootlab.org

www. freie-radios.de

www.freieradios.net

www.radiokampagne.de

www.resonancefm.com

www.twen-fm.de

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