Ausgabe 2 - 2003 berliner stadtzeitung
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Distanz durch Humor

Derzeit en vogue: die DDR als Filmkulisse

Nach Sonnenalle, Der Zimmerspringbrunnen und Helden wie wir ist mit Good Bye, Lenin! eine weitere Komödie in die Kinos gekommen, in der die verschwundene DDR als Kulisse herhalten muß. Der Regisseur aus dem Westen, Wolfgang Becker, war sich offensichtlich darüber bewußt, daß er sich keine Fehler erlauben darf, was die Darstellung der von DDR-Bürgern bevorzugten Produkte, Klamotten und Liedgut betrifft. Mit Erfolg: Diesbezüglich gab es keine Beschwerden. Und das Publikum quietschte jedesmal vor Vergnügen, auch wenn schon das fünfte Mal von echten Spreewald-Gurken die Rede war.

Diese Art von Humor ist nicht auf nostalgische DDR-Komödien beschränkt. Fast täglich kann man sich im Fernsehen an sogenannten Achtziger-Jahre-Shows erfreuen, die mithilfe von Drei-Wetter-Taft- oder Schauma-Shampoo-Werbespots die Zeit heraufbeschwören, in der Twix noch Raider hieß. Es ist der Humor, der aufkommt, wenn man 15 Jahre alte Fotos von sich betrachtet, und der auf Klassentreffen das peinliche Schweigen durchbricht, wenn man lieber nicht auf das aktuelle Leben zu sprechen kommen möchte.

Nach einem Schnelldurchlauf durch die DDR-Geschichte, der die markantesten Klischees aneinanderreiht, bezieht sich Good Bye, Lenin! ausschließlich auf die unmittelbare Wendezeit. Zu fragen, was heute noch von der DDR geblieben ist oder sein könnte, wäre wohl zu schmerzhaft gewesen, selbst in einer traurigen Komödie ­ und hätte vielleicht auch nicht jedem gefallen. Stattdessen wird wieder einmal aufgezeigt, daß die DDR schon allein ästhetisch am Ende war, während gleichzeitig suggeriert wird, daß die BRD sich mehr oder weniger bruchlos weiterentwickeln konnte.

So wird bei der Darstellung der Wessis auch deutlich weniger Sorgfalt an den Tag gelegt. Der Wuppertaler Student, der gerade eine billige Wohnung in Mitte bezieht, reist mit einer Stehlampe an, deren Schirm mit einem Flokati im grellsten Pink dekoriert ist ­ ein Design, das erst im Zuge des gesamtdeutschen Retro-Stils Mitte der Neunziger seinen Weg in hippe Bars und einige Privatwohnungen fand. In der BRD der Achtziger war etwas ganz anderes Mode: Halogen-Schalen auf langen, wackeligen Stengeln, deren abplatzende Verchromung nach einer Weile gelbliches Plastik hervorschimmern ließ. Auch die BRD von vor 15 Jahren würde uns lächerlich erscheinen, bekämen wir sie vorgeführt wie die DDR in Beckers Film.

Nostalgischer Humor kann ein Mittel zur Distanzierung von der eigenen Geschichte sein. Bei einem ohnehin verschwundenen und zunehmend verklärten Staat wirkt er beklemmend. Denn in dem Maße, wie das Vergangene als belustigend, rührend, traumartig seltsam dargestellt wird, wirken die bestehenden Verhältnisse als selbstverständlich und folgerichtig.

Susann Sax

> „Good Bye, Lenin!" ist seit dem 13. Februar in den Kinos.

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  Ausgabe 2 - 2003