Ausgabe 2 - 2003 berliner stadtzeitung
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Genossen gesucht

Das Studentendorf Schlachtensee hat wieder eine Chance

Beim Gang durch das Studentendorf Schlachtensee beschleicht einen ein seltsames Gefühl. Der Lärm der Potsdamer Chaussee klingt rasch ab, und Stille senkt sich über das Areal. Doch etwas stimmt nicht, das merkt man gleich. Es ist eine unheimliche Stille, die über dem Dorf liegt: Hier wohnt niemand mehr. Die Türen der Häuser sind mit Preßholzplatten vernagelt und Fensterscheiben eingeschlagen, in den Hausfluren liegen Müll und Staub. Es dauert einige Minuten, bis Zeichen menschlichen Lebens sichtbar werden: Ein gelbbetupfter Vorhang, eine einsame Balkonpflanze, und dann, in der Mitte am sogenannten Dorfplatz: Drumbeats! Im Gemeinschaftshaus probt eine Band. Die Wüste lebt.

Die Geschichte des Dorfes ist traurig. 1958 bis 1964 wurde es von den Alliierten erbaut, im Stil der Nachkriegsmoderne, die Häuser mit Vorliebe lose in einen Landschaftsgarten einbettete. Diese „aufgelockerte Bebauung" war damals ein Kampfbegriff, mit dem Leben in den Innenstädten hatte sie wenig zu tun. Aber in Schlachtensee funktionierte es. Unter den Birken unweit der Freien Universität entstand hier eine international geprägte Studentengemeinschaft, und fast jede Woche feierte irgendwo im Dorf jemand eine Party. Seit den achtziger Jahren steht das Ensemble unter Denkmalschutz.

Doch Ende der neunziger Jahre saß das Land Berlin in der Schuldenfalle und veräußerte Landesvermögen, wo es nur ging. Auch das Dorf sollte verkauft werden ­ allerdings nur der Grund und Boden. Die Bebauung selbst sollte „aus dem Denkmalschutz entlassen", wie es so schön heißt, und von dem Investor abgerissen werden, der stattdessen Luxusvillen bauen könnte. Also wurde das Dorf vorsätzlich entmietet. 2001 verschickte das Studentenwerk Massenkündigungen, viele der oft ausländischen Bewohner wehrten sich nicht, da sie Ärger mit der Polizei fürchteten. Innerhalb weniger Monate war eine einstmals lebendige Gemeinde auf einen Bruchteil ihrer Größe geschrumpft. Heute wohnen noch genau 30 Studierende im Studentendorf Schlachtensee ­ von einstmals über tausend.

Aber die Studenten, die sich den Kündigungen widersetzt hatten, wurden aktiv. Investoren, die das Objekt besichtigten, wurden mit wenig einladenden Transparenten vergrault. Die Mieter organisierten sich in der „Arbeitsgruppe Studentendorf Schlachtensee", aus der im letzten Herbst eine Genossenschaft entstand. Das Ziel: genügend Anteilseigner zu gewinnen, um das Dorf zu kaufen und als Wohnstätte für Studenten zu erhalten. Angesprochen sind die ehemaligen Bewohner, die Leute aus der Nachbarschaft ­ eigentlich jeder.

Im Prinzip herrscht zwischen Senat und Genossenschaft Einigkeit über den Verkauf, aber eine endgültige Entscheidung wird zur Zeit noch von Bausenator Strieder blockiert, der auf einen höheren Verkaufspreis spekuliert. Eine schwierige Situation für die Genossenschaft. „Um Käufer für unsere Anteile zu gewinnen, benötigen wir ein positives Signal aus dem Senat", sagt Jörg Müller vom Aufsichtsrat. Immerhin: Senatsbaudirektor Hans Stimmann sah sich bei einer Veranstaltung des Bundesarchitektenbundes gezwungen, auf die fordernden Zwischenrufe eines Aktivisten folgendermaßen zu reagieren: „Jaja, ich bin ja auch für das Studentendorf. Aber was soll ich tun ..."

Udo Badelt

> Informationen zur Genossenschaft unter: www.studentendorf-berlin.de

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