Ausgabe 2 - 2003 berliner stadtzeitung
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Aufschub des Unvermeidlichen

Die Mietobergrenzen haben ihr Ziel verfehlt

Die Verabschiedung von Mietobergrenzen in den von Sanierung betroffenen Stadtvierteln im Berliner Osten durch die Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) galt in den Neunzigern als Erfolg. Ein politischer Erfolg, den fortschrittliche Mehrheiten dem verknöcherten Westberliner Establishment in der Verwaltung der Großen Koalition abgerungen hatten. Den siegreichen BVVs war das so wichtig, daß nach der Schlacht keiner mehr so genau hingesehen hat. Das eigentliche Ziel, der Schutz vor Verdrängung, geriet in Vergessenheit.

Politische Erfolge haben nämlich die Eigenart, sich im wirklichen Leben nicht immer als unbedingt praktikabel zu erweisen: Von den ursprünglich einmal anvisierten 25 Jahren Mietbegrenzung blieben fünf übrig, außer in Lichtenberg, dort sind es sieben. Die Umsetzung der politischen Vorgabe blieb meist der Verwaltung überlassen ­ zu deren Ehrenrettung man sagen muß, daß sie ihr Bestes versuchte. Sie wies zwar von Beginn an darauf hin, daß es zur Durchsetzung dieses politischen Willens keine verläßlichen Rechtsgrundlagen gebe, allein, das war für die politischen Sieger von untergeordneter Bedeutung.

So kam es, daß die Verwaltung bei der Erteilung von Bewilligungsbescheiden gezwungen war, gegenüber den sanierungswilligen Eigentümern Kompromisse einzugehen. So verwischte die Grenze zwischen Sanierung und Modernisierung; der Aufwertungsprozeß fand zwar verzögert, aber dafür um so gründlicher statt.

Kompromisse waren überall möglich. Oft fielen Sanierungsbeginn und Mietbindungsbeginn zusammen, obwohl von vornherein allen klar war, daß die Mieter für ein paar Jahre umgesetzt werden mußten und von der niedrigen Miete zunächst gar nichts haben würden. Oder die Ausstattungsstandards stiegen: Am Kollwitzplatz beispielsweise gestattete das Amt den Einbau von Aufzügen ­ eine Ausstattung, die normalerweise eher in die Kategorie Luxussanierung gehört.

Die Genehmigung eines höheren Ausbaustandards kam beiden Seiten zugute. Die Eigentümer erhielten die Möglichkeit, anfängliche Verluste nach Ende der Bindungsfristen im normalen Zeitraum der Refinanzierung ­ üblicherweise 15 bis 20 Jahre ­ aufzufangen. Die Verwaltung konnte gegenüber den politischen Entscheidungsträgern das Gesicht wahren. Für Mieter hingegen entstand allenfalls ein kurzfristiger Zeitgewinn, ein Aufschub des Unvermeidlichen: Waren sie in der Zwischenzeit nicht zu Wohlstand gekommen, mußten sie nach Ablauf der fünf Jahre gehen. Eine absehbare Folge der verwaltungstechnischen Vermeidungsstrategie ist, daß der Ausbaustandard in den Sanierungsgebieten ständig steigt. Die Wirkungen auf den Mietspiegel in den betreffenden Gebieten sind unumkehrbar: Wenn der steigt, kann sich jeder Vermieter darauf berufen.

Zumindest im Prenzlauer Berg bemühte sich die Verwaltung, das Problem in Einzelabsprachen mit den Investoren zu lösen. Man wollte Prozesse vor dem Verwaltungsgericht vermeiden. Fünf Jahre lang ging alles gut. Keiner der Beteiligten war darüber besonders glücklich, aber Präzedenzfälle vor Berliner Verwaltungsgerichten konnten vermieden werden. Als aber Investoren auftraten, die ohnehin nur einen niedrigen Sanierungsstandard anstrebten, denen also nichts mehr abzuhandeln war, kam es vor dem Verwaltungsgericht zu einem Urteil gegen Neu-Pankow, das die Mietbindung de facto beendete. Gegen allen Rat suchte der zuständige PDS-Stadtrat noch eine Revision vor dem Oberverwaltungsgericht, aber kaum jemand rechnet damit, daß er Erfolg hat.

Die Warnungen der Verwaltung wurden ignoriert. Als im Dezember 2000 ein Mitarbeiter der Verwaltung von Prenzlauer Berg vorsichtig im verwaltungseigenen Mitteilungsblatt VorOrt Kritik anmeldete, ließ die damalige Baustadträtin Dorothee Dubrau von den Grünen die ganze Auflage einstampfen und ohne den Beitrag neu drucken. Alle Vorschläge der Verwaltung, im Sinne des ursprünglichen Zieles, dem Schutz vor Verdrängung, rechtlich gesichert tätig zu werden, wurden unterdrückt. Dazu gehörte unter anderem eine rigidere Bewilligungspraxis beim Ausbaustandard und eine verstärkte Aktivierung des Denkmalschutzes. Das Ziel hieß Mietobergrenzen, egal um welchen Preis.

Das Beispiel zeigt: In dem Maße, wie ursprünglich positive Ansätze dogmatisiert werden, verwandeln sie sich in ihr Gegenteil.

Wolfram Kempe

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